Wahl zwischen Spendierhosen und Geizkragen

■ In Norwegen wird die rechtspopulistische Fortschrittspartei als Wahlgewinnerin erwartet. Die Sozialdemokraten werden aber wohl weiter die Regierung führen

Hamar (taz) – Carl Ivar Hagen hat die Spendierhosen an. Nicht sein eigenes Geld, aber Norwegens Ölmilliarden verteilt er großzügig im Wahlkampf: „Wieso sollen wir eigentlich wie Onkel Dagobert auftreten, wenn sich unsere Staatskasse immer wieder von selbst auffüllt? Es ist doch unwürdig, wenn es in so einem reichen Land wie Norwegen lange Schlangen für einen Platz im Krankenhaus und Engpässe in der Altenfürsorge gibt.“ Dann kommt der von Hagen bei keiner Rede fehlende Vergleich mit dem Lottogewinn: „Man kann sich doch wenigstens mal neue Möbel und ein besseres Auto kaufen. Alles braucht man ja nicht gleich auszugeben.“

Hagens Botschaft kommt an. Hier im Altersheim der Stadt Hamar, 100 Kilometer nördlich von Oslo, wie zuvor auf dem Marktplatz. Nicht nur die Alten hinter den Kaffeetassen können schwer verstehen, warum man es in Oslo für sinnvoller hält, die so überreichlich sprudelnden Ölmilliarden im Ausland anzulegen, statt sie da auszugeben, wo es dringenden Bedarf zu Hause gibt. Verantwortungslosigkeit wird Hagen vom sozialdemokratischen Finanzminister vorgeworfen. Es drohten Inflation und eine Überhitzung der Wirtschaft, wenn man zuviel auf einmal ausgebe. Doch Hagen kontert: „Für mich ist es verantwortungslos, nicht zu investieren, obwohl genug Geld da ist.“

So etwas kommt bei den RentnerInnen an. Auch beim 71jährigen Per, der immer sozialdemokratisch gewählt hat: „Die Sozialdemokraten der guten alten Sorte gibt es nicht mehr. Aber Hagen steht doch für dieselben Ziele.“ Zu Beginn des Wahlkampfes war er mit seiner Fortschrittspartei in den Meinungsumfragen auf 25 Prozent in die Höhe geschossen. Inzwischen geben ihm die Demoskopen 18 Prozent, immer noch fast eine Verdreifachung des Resultats von 1993 (6,5 Prozent).

Hagens Umfrageeinbußen sind einem Zwischenspurt von Ministerpräsident Thorbjörn Jagland und seiner sozialdemokratischen Arbeiterpartei geschuldet. Gezwungen, die Demagogie der Fortschrittspartei ernst zu nehmen, machte sich die Regierung die Mühe, Hagens Wahlkampfversprechungen nachzurechnen. Die von ihm versprochenen Steuersenkungen und die Neuausgaben hätten – Ölmillarden hin oder her – zu einer Etatkatastrophe geführt. Als die Arbeiterpartei dies dann medienwirksam unters Volk brachte, verlor Hagen ein Drittel seiner potentiellen WählerInnen.

Dennoch ist die Fortschrittspartei auf dem Wege, sich in einem in Europa derzeit beispiellosen Ausmaß als rechtsextremer Machtfaktor mit offen rassistischer Argumentation ins Parlament zu setzen. Und dies nicht in einer krisengeschüttelten Demokratie, sondern im wirtschaftlich blühendsten Land Europas, das nicht weiß, wohin mit dem Staatsvermögen und woher es Arbeitskräfte heranschaffen soll. Schwer verständlich ist in Norwegen, warum die Arbeiterpartei, die in den letzten zehn Jahren in Minderheitsregierungen Verantwortung trug und das Land mit rigoroser Sparpolitik aus der tiefen Wirtschaftskrise von 1986 herausführte, weiterhin die Hände über die nunmehr wohlgefüllten Kassen legt, statt von einer neuen Wohlfahrtsgesellschaft zu sprechen. Hagens Spendierhosen-Propaganda trifft sich in Ansätzen daher durchaus mit Kritik aus dem linken Flügel der Arbeiterpartei.

Diese hat auch mit der mangelnden persönlichen Ausstrahlung ihres Vorsitzenden Jagland zu kämpfen, der sich immer wieder mit seiner Vorgängerin Gro Harlem Brundtland messen lassen muß. Von der Popularität der „Landesmutter“ ist der graue Parteifunktionär meilenweit entfernt. Jagland hat keine neuen Visionen zu bieten als die, als vorsichtiger Verwalter des norwegischen Reichtums weitermachen zu wollen. Doch nicht um jeden Preis: So viele Stimmen wie seine Vorgängerin bei den letzten Parlamentswahlen muß er mindestens erreichen, sonst wird seine Partei keine Minderheitsregierung mehr bilden. Nach den letzten Vermutungen der Demoskopen sah alles danach aus, als ob er diese 36,9-Prozent- Hürde schaffen könnte.

Eine konservative Alternative gibt es quasi nicht mehr. Der einstigen Nummer zwei, der konservativen Hoeyre, droht wegen Führungsproblemen ein katastrophaler Einbruch. Ähnlich der bäuerlichen Zentrumspartei. Sollten Jagland die Wählerstimmen nicht reichen, müßte er versuchen, aus drei bis vier bürgerlichen Parteien eine Minderheitskoalition zu formen. Ohne die Fortschrittspartei: Hagen galt zumindest vor der Wahl keiner Partei als stubenrein. Reinhard Wolff