Beherzte Umarmung der Welt

„Es ist halt Musik zum Feiern“: Khaled, der „König des Rai“, jettet im Dienste der Völkerverständigung um den Erdball. Seine Botschaft: Mit Charme gegen die Arabophobie des Westens und die Lepenisierung Frankreichs  ■ Von Daniel Bax

Nun ist er endgültig in den französischen Popolymp aufgestiegen. Im Februar wurde „Aisha“, der jüngste Hit des Exilalgeriers Khaled und nominellen „König des Rai“, zum besten Chanson des Jahres gekürt. Das Stück sei eine „Huldigung an die Frauen“, schwärmte das Magazin L'Express, was Khaled allerdings nicht ganz einleuchten mag: „Wenn ich den Rai singe, singe ich immer über Frauen. Nur daß mich viele dann nicht verstehen, weil es gewöhnlich auf arabisch ist.“

Der aktuelle, ausnahmsweise auf französisch gesungene Ohrwurm stürmte bereits im vergangenen Herbst die französischen Charts. Das eingängige Liebeslied stammt aus der Feder des bekannten Schlagerkomponisten Jean- Jacques Goldman, der schon Johnny Hallyday und, zuletzt, der Franco-Kanadierin Céline Dion maßstabgetreue Hits schrieb. Keine Frage, da ist ein kommerzielles Kalkül aufgegangen.

Araber und Jude singen „Imagine“

Dennoch ist „Aisha“ etwas Besonderes, ein Meilenstein gar: Allein daß sich eine Hymne an ein arabisches Mädchen auf den Plattentellern aller großen französischen Radiostationen (und nicht nur der arabischsprachigen Hinterhofsender) dreht, ist bemerkenswert. Eine einzige Platte wie „Aisha“ bewirkt mit einem Schlag mehr als Jahrzehnte integrationspolitischer Bemühungen. Khaleds Erfolg ist ein Signal, es markiert das Ankommen der maghrebinischen Migranten in der französischen (Pop-) Kulturnation. Vom Ausland aus gesehen, repräsentiert Khaled Frankreich.

Mindestens ebenso symbolträchtig ist die Konstellation Khaled/Goldman: Khaled ist Araber, Goldman Jude – eine beabsichtigte Symbolik. Gern plaudert Khaled davon, wie Goldman und er sich bei einer Sondersendung des TV- Senders France2 anläßlich der Unterzeichnung des Washingtoner Friedensabkommens zwischen Israel und Palästina zum erstenmal trafen: „Er hat sich eines meiner Stücke ausgesucht, ,Chebba‘, und ich eines seiner Stücke, ,Je te donne‘, und daraus formten wir ein Medley.“ In einer Folgesendung zum Jahreswechsel 1996 traf sich das Duo dann noch einmal, um gemeinsam „Imagine“ in die Kamera zu schmettern, woraus sich dann jene Zusammenarbeit entspann, die geradewegs zu „Aisha“ führte.

Ein Star ist Khaled in Frankreich schon längst – ein Idol der maghrebinischen Jugend in den Vorstädten, dem auch der Zuspruch einer aufgeschlossenen Musikhörerschaft gewiß ist, ein Liebling der linksliberalen Intelligenz und der Medien, kurz: eine Integrationsfigur.

Schuleschwänzen, Mädchenanbaggern

Dabei geht der Person Khaled eigentlich jeder Glamour ab: ein um die Hüften etwas pummeliger Schnauzbart im Acrylpulli, dessen einzige Extravaganz der goldene Schmuck ist, mit dem er Ohr und Hände ziert. Nein, rein äußerlich betrachtet würde er wohl in keiner Metrostation größeres Aufsehen erregen. Aber da ist noch dieses berühmte, breite Lächeln. Und natürlich diese mitreißende Stimme. Die Stimme wurde, so will es die Legende, mit 15 Jahren von einem Produzenten bei einer Hochzeit entdeckt und ließ den Jungen aus Sidi-El-Houri, einem Vorort Orans, bereits ein Jahr später, mit 16, seine erste, richtungsweisende Single veröffentlichen: ein Stück, das das Schuleschwänzen und Mädchenanbaggern propagierte. Zweifellos ist Khaled ein Kind des Glücks: Seine Krönung zum „King of Rai“ auf Algeriens erstem offiziellem Rai-Festival 1985 setzte ihn an die Spitze des weltweiten Siegeszuges des Rai. Und seine erste auf den westlichen Markt zielende Platte „Kutché“, eine Koproduktion mit dem algerischen Jazzkomponisten Safy Boutella, entstand gar mit Protektion eben jener algerischen Regierung, die den Rai zuvor jahrelang unterdrückt und zensiert hatte. Mit der Übersiedlung nach Frankreich folgte der Vertrag bei einem Majorlabel – und damit der Weg von der Insider-Fangemeinde ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit.

Repräsentant zu sein hat auch Nachteile. Was immer Khaled anpackt, ächzt unter der Fracht zugeschriebener Bedeutsamkeit. So wägt er seine Worte sorgfältig, mahnt mit Blick auf Algerien zur Besonnenheit und zum Gewaltverzicht, jettet, als guter Mensch von Oran, von der Wohltätigkeitsveranstaltung für behinderte Kinder zum Aids-Benefizkonzert. Und bekommt eimerweise Briefe, gar Anrufe mit der Bitte, sich für seine Heimat Algerien einzusetzen. Seine Zurückhaltung, dabei für eine bestimmte Seite Partei zu ergreifen, hat ihm vom kabylischen Kollegen Matoub Lounès den Vorwurf eingebracht, sein mediales Gewicht nicht ausreichend in die Waagschale zu werfen, um Einfluß auf die algerische Katastrophe zu nehmen.

Dabei gründete Khaled 1995, nach den Morden an dem Sänger Cheb Hasni und dem Rai-Produzenten Rachid Baba-Ahmed, vereint mit dem kabylischen Sänger Idir eine Bewegung namens „L'Algerie, la vie“, die sich für ein multiethnisches und multireligiöses Algerien einsetzt und der sich inzwischen fast die gesamte Rai-Szene im Pariser Exil angeschlossen hat. Die bei den Veranstaltungen erzielten Einnahmen fließen an zivile Organisationen, die Basisarbeit in verschiedenen Regionen Algeriens leisten und „alle von Frauen geleitet werden – glücklicherweise“.

One Region under a groove

Khaled, der sich durchaus als gläubigen Muslim begreift – „die Religion zivilisiert uns“ –, ärgert die ideologische Instrumentalisierung des Islam: „Ich glaube, daß alle Religionen im Kern tolerant sind.“ Dabei muß er mit dem Paradox leben, daß auch unter Fans und Freunden nicht wenige aus politischen Motiven mit den Islamisten sympathisieren, obwohl diese gleichzeitig zu den ärgsten Gegnern des Rai, seinen freizügigen Texten und seiner losen Moral gehören: Widersprüche einer zerrissenen Gesellschaft.

Beim Gedanken an die jüngste blutige Attentatswelle, ausgerechnet im Monat der Besinnung, dem Ramadan, verliert Khaled, dessen Familie noch immer in Oran lebt, die Contenance – „das sind keine Muslime, das sind Barbaren, Faschisten, Nazis“ –, aber auch hier hütet er sich, nur einer Seite die Schuld zu geben: „Man weiß nicht, wer die Gewalt ausübt: Regierung, Islamisten, Gangs. Was jetzt in Algerien passiert, ist Rache. Jeder, der eine Pistole hat oder eine Flinte, begleicht seine Rechnungen.“ Seit zehn Jahren wagt Khaled sich nicht mehr nach Algerien, aber er telefoniert fast täglich mit seinen Angehörigen. Die, so erzählt er, halten sich mit makabren Witzen die alltägliche Angst vom Leib.

Khaled gilt den französischen Medien als Stimme des zivilen Algerien, gar der arabischen Welt. Seine Konzertreisen führten ihn vom Persischen Golf bis, kürzlich erst, nach Istanbul, wo er begeistert empfangen wurde. „Didi“, der Tanzflächenfüller, der ihm den weltweiten Durchbruch bescherte, zündete in so unterschiedlichen Ländern wie Frankreich, Ägypten, Israel und sogar im erzkonservativen Saudi-Arabien, lokale Coverversionen existieren in Hebräisch, Türkisch und in Hindi. One region under a groove.

Alle Musiker werden Brüder

„Ich würde sehr gerne einmal in Israel auftreten“, wünscht sich der Integrator. Eingeladen wurde er schon einmal, vor zwei Jahren, zu einem Festival nach Tel Aviv, doch er sagte ab: „Ich hatte Angst. Es ist ja nicht so, daß es mir verboten wäre, dort zu spielen. Aber wenn ich in dieser Situation gehen würde, würden die Araber mir das übel nehmen. Ich wäre ein Verräter, ich würde erschossen werden.“ Und illustriert den Haß, den ihm militante Islamisten entgegenbringen, mit einer Episode bei einem Auftritt vor drei Jahren in einer christlichen Stadt im Libanon: „Bei der Pressekonferenz warf mir ein Journalist der Hisbollah vor, ein Jude zu sein. Meine Frau sei Jüdin, meine Mutter auch – kurz: ich sei jüdischer Rasse. Ich antwortete ihm, ich sei Muslim und sei gekommen, um für alle zu singen – ob Christen, Juden oder sonstwen. Die Musik gehört niemandem, sie gehört der ganzen Welt.“

Für hiesige Verhältnisse klingt das Pathos solcher Völkerverständigungsslogans selbstverständlich und damit platt, im Nahen Osten weniger. Das Prinzip Khaled: Beherzte Umarmung der Welt. Mit Charme gegen die Arabophobie des Westens, gegen die Lepenisierung Frankreichs und die Rückzugsbewegungen der eigenen Community. Voraussetzung dafür ist Teilhabe an der globalen Popökumene, auch wenn dies möglicherweise die Entfremdung vom arabischen Stammpublikum befördert. Schon wird der Vorwurf des Ausverkaufs lauter. Seinen Namen hat Khaled um den Rai-Ehrentitel „Cheb“ verkürzt, weil die blöden Ausländer ihn für seinen Vornamen hielten. Im CD-Beiheft steht jetzt statt dessen vollständig „Khaled Hadj Brahim“.

„Ich möchte meine Musik nicht verraten – es ist Musik zum Feiern.“ Sagt's und läßt das Medium die Botschaft sein. Das neue Album „Sahra“ (der Titel – arabisch für die Sahara – bedient gleich ein faustdickes Klischee: Hoppla, hier kommt der Wüstensohn) atmet den klimaanlagengekühlten Atem des internationalen Musikbetriebs. Die Möglichkeiten moderner Studios voll auskostend, werden satte Bläser und fette Percussionsätze aufgefahren, man soll die demonstrative Weltläufigkeit schließlich auch hören. Da jagt ein Duett mit dem Spanier Saul Hernandez eine Stippvisite bei Rita Marley auf Jamaica – Khaled dürfte mehr Zeit im Flugzeug verbracht haben als im Studio.

Schließlich folgt, um bei alledem nicht den Kontakt zur Straße zu verlieren, ein bodenständiger Rai-Rap mit dem HipHop-Nachwuchs von IAM: für die Lieben daheim. „Oran Marseille“ ist eine

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Hommage an die Geburtsstadt und an „die arabischste Stadt Frankreichs“, jenem Mikrokosmos aus Zigarettenschmuggel und Couscous-Küchen, in dem Khaled vier Jahre lang lebte.

Auf dem Weg zum Benetton-Rai?

Aus nicht allzu weiter Ferne droht mittlerweile die Gefahr der Beliebigkeit – Stichwort Benetton-Rai. Schon der Blick auf Khaleds Duett-Wunschliste für die Zukunft gibt zu Befürchtungen Anlaß: Stevie Wonder, Björk, Youssou N'Dour, selbst Sting. Eigentlich sollten sie alle schon dieses Mal mit von der Partie sein, allein, die Plattenfirma drängte auf Eile. Zusammengehalten wird die umwerfende Opulenz des Dargebotenen vor allem durch Khaleds mitreißenden, modulationsreichen Gesang, der zum lauthals Mitsingen geradezu zwingt. Bei aller produktionstechnischen Glätte ist er der Rettungsanker vor dem Einheitsbrei.

Gleich vier namhafte Produzenten haben Hand ans Mischpult gelegt, neben Goldman und Don Was der Orientfachmann Philippe Eidel und der Reggae-Pate Clive Hunt. Geschadet hat das nicht unbedingt, während Don Was mehr Nachdruck auf die knalligen Grooves legt, unterstreicht Philippe Eidel mit vielen Streichern die schwüle Dramatik der orientalischen Melodien. Es gibt Glanzstücke wie den fröhlichen Rai- Reggae „Lillah“, aber auch Füller und peinliche Ausrutscher wie den mit 140 bpm davongaloppierenden Eurodisco-Schrott „Le jour viendra“. Khaled besteht aber vehement darauf, daß es sich immer noch um Rai handelt: „Da ist die orientalische Percussion, die darbuka, da ist immer noch die Stimme. Und da ist die Emphase des Rai, der Klang des Akkordeons. Die anderen Hilfsmittel, die wir verwendet haben, sind nur dazu da, die Musik zu verbessern. Ich glaube, die Leute, die meine Musik lieben, wollen, daß ich immer etwas Neues mache.“

Khaled: „Sahra“ (Barclay)