Kollektive Intelligenz setzt auf Qualität

Bremer Marketing-Experten haben 300 BremerInnen zu den Perspektiven der Stadt befragt. Das Ergebnis: Die Lebensqualität ist sehr gut, die Wirtschaft hat Chancen, die Politik ist mies. Nach der Wahl sollen Empfehlungen folgen

Bremer Politik? „So fährt man Bremen vor die Wand“, urteilen viele

Das Bild von Bremen in den Köpfen der PolitikerInnen ist ein ganz anderes als in den Köpfen von ManagerInnen oder Privatpersonen – das ist ein Ergebnis einer am Freitag vorgestellten Studie, bei der 300 Personen intensiv zu Bremen befragt wurden. Dass man „den Strukturwandel offensiv angehen“ müsse, zum Beispiel, ist für die befragten ManagerInnen weitgehend selbstverständlich, für die PolitikerInnen aber nur eine Vision, die sie begeistert. Tief gespalten sahen die Befragten die Ambitionen der bremischen Politik, eine „Metropole mit Strahlkraft und attraktiver Außendarstellung“ zu werden. Die wenigsten glauben, dass Bremen dieses Ziel erreichen kann, viele fürchten, dass damit eine Verschlechterung der sozialen und ökologischen Faktoren im „Lebensraum Bremen“ einhergeht – der insgesamt sehr positiv bewertetet wird.

„Geschenkt“ hat der Stadt die Befragung und den damit verbundenen Beratungsprozess der Psychologe Peter Kruse, früher im Team der Bremer Hirnforscher, seit einiger Zeit Leiter seiner Marketing- und Beratungs-Agentur „nextpractice“. Kruse ist ein außerordentlich optimistischer Mann.

Kruses erstes Credo lautet: „Die Intelligenz einzelner Vordenker reicht nicht mehr aus.“ Sein zweites: „Die weichen Faktoren sind die wirklich harten Kriterien beim Kaufentscheid.“ Er weiß: „Erkenntnisse der Hirnforschung belegen, dass das menschliche Handeln wesentlich bestimmt wird von bewertenden Gefühlen und Einstellungen.“

Kruse hat daher ein „Tiefeninterview“ genanntes Befragungssystem entwickelt, das die emotionale Intelligenz abfragt und über ein Computerprogramm direkt mit den angefragten Gefühlen und Einstellungen der anderen TeilnehmerInnen des Experimentes verknüpft. So kann ein kollektiver Beratungsprozess organisiert werden – für Unternehmen, aber auch für politische Prozesse. Anfang Juni sollen 200 Menschen im Rathaus mit dieser Methode, „nextmoderator“ genannt, über 50 Laptops zusammengeschaltet werden und die Zukunft Bremens in einem kollektiven Kreativlabor neu erfinden.

Zur Vorbereitung hatten Kruses MitarbeiterInnen einigeausgewählte PolitikerInnen (17), 134 ManagerInnen und 134 Privatpersonen befragt. Die Ergebnisse stellte er am Freitag im Speicher XI dar. Wo sehen die Befragten die Stärken Bremens? Wo die Schwächen? Was erwarten sie? Was befürchten sie? Die Auswahl der 300 war in keiner Weise repräsentativ, aber es waren fast ausnahmslos MacherInnen beziehungsweise MeinungsmacherInnen.

Das Ergebnis ist verblüffend. Mehr als ein Drittel sieht die Zukunft Bremens sehr kritisch. „So fährt man Bremen vor die Wand“, fasste Kruse ihre Einschätzung zusammen. Viele begründeten ihren Pessimismus mit Verweis auf den Bremer Filz. Eine explizite Strategie können sie nicht erkennen. Und haben Sorge, dass die soziale Komponente und der Aspekt der Nachhaltigkeit verloren gehen.

Nur knapp 20 Prozent stark ist dagegen das Lager der Optimisten, die für die Zukunft große Chancen der Entwicklung sehen. Daneben gibt es rund 30 Prozent, die zufrieden mit Bremen sind – allerdings nicht wegen der Aspekte, die Kruse als im „Leistungsraum“ verortet, sondern aufgrund der persönlichen Lebensumstände. Motto: „So eine Stadt zum Leben muss man erst einmal finden.“ Besonders kritisch ist die große Mehrheit gegenüber der Politik. „Bürgerbeteiligung erhöhen“ war quer durch die Bank positiv gesehen.

Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) unterstrich nach der Präsentation, dass die Befragung ja keineswegs repräsentativ sei, freute sich aber über die hohe Bewertung der sozialen Gerechtigkeit bei den TeilnehmerInnen und deren „Gestaltungswillen“. Wenn die kollektive Intelligenz Anfang Juni „20 oder 30 konkrete Empfehlungen“ produzieren würde, dann wolle er gern mit den VeranstalterInnen darüber nachdenken, „wie wir das gemeinsam umsetzen“. kawe