Kleine Renovierungen im Revier

Mietergärten und eine eigene Dusche: Mit einem Stadtteilprogramm will die nordrhein-westfälische Landesregierung den Ruhrgebietstädten helfen, ihre finstersten Ecken aufzumöbeln  ■ Von Thomas Meiser

Energisch faucht Heinz Zenteck den Junkie an, der in seinem Restaurant unterwürfig Zigaretten schnorrt: „Zieh Leine, Kerl, und laß dich hier nie wieder blicken!“ Der Heroinabhängige torkelt nach draußen.

Dann widmet sich Zenteck wieder seinem Gast. Der Mann ist dienstlich da, sein Job ist der Verkauf von Sicherheit. Mit dem Gastwirt ist sich der Alarmanlagenvertreter schnell einig über das dringend gebotene volle Programm: Bewegungsmelder in der Schankstube, im Hinterzimmer, in der Küche. Die Sensoren sind über Telefon mit der Alarmzentrale vernetzt. Auf den Dachfirst an der Straßenfront gehört ein Blaulicht.

Seit 30 Jahren betreibt Zenteck sein Lokal an der Bismarckstraße in Gelsenkirchen. Jüngst wurde er zum Einbruchsopfer. „Schade, daß man das sagen muß“, sagt er, während er kalte Platten ins Auto trägt, „mittlerweile ist Bismarck ein Sumpf geworden.“

Auch andere Geschäftsleute klagen seit Jahren über Umsatzrückgang an der zentralen Einkaufsstraße. Viele Alteingesessene rund um die Zeche Hugo fühlen sich bedroht, irgendwie im Stich gelassen. „Der Müll liegt jetzt schon die ganze Woche hier rum, will wohl keiner mehr abholen“, meint ein Anwohner in der Robergstraße, der sich aus dem Fenster lehnt. Sein Kumpel draußen auf dem Fahrrad nickt dazu. Plünnen und Plunder türmen sich, gekrönt von einem zerteilten lila Kinderwagen.

Ein paar Ecken weiter, in der Paulstraße, in den hell renovierten Räumen eines alten Backstein- schulgebäudes, arbeitet Johannes Mehlmann jeden Tag an der Erneuerung von Gelsenkirchen-Bismarck und Schalke-Nord. Strukturwandel im Mikrokosmos: Mit 16 Projekten wird seit letztem Jahr der Problemstadtteil auf Vordermann gebracht. Die Kommunalverwaltung setzt dabei auf eine Mischung aus Sozialarbeit und Umbauten. So sollen Firmen Brachflächen instand setzen, begrünte Fußwege schaffen, Straßen verengen und Gebäude renovieren. Vor allem aber will man die Lebenssituation von Mädchen, türkischen Frauen und Arbeitslosen verbessern, mit Angeboten zur beruflichen Qualifizierung, Angeboten für die Freizeit. Mehr als anderthalb Millionen wird das alles kosten. Was bislang verwirklicht wurde, das läuft erfolgreich.

Wie das Pädagogische Zentrum, eine vor zehn Jahren gegründete Initiative von arbeitslosen Lehrern, die sich unter dem Dach eines Vereins selbständig machten. Die Lehrer begannen mit Nachhilfeunterricht, jetzt betreuen sie außerdem vornehmlich ausländische Kiezkids, die keinen Kindergartenplatz erhalten haben, und veranstalten Ferienprogramme. Das Stadtplanungsamt bescheinigt der Initiative, daß sie „einen wesentlichen Anteil zur Verringerung schulischer Defizite und zur besseren Verständigung zwischen deutschen und ausländischen Kindern leistet“.

Langsam, ganz langsam verbessert sich das Leben in Bismarck, dem Gelsenkirchener Stadtteil mit den höchsten Ausländer- und Arbeitslosenanteilen. „Was hier in hundert Jahren an Schieflagen geschaffen wurde, kann natürlich nicht in ein, zwei Jahren runderneuert werden“, weiß Projektleiter Mehlmann, der selbst seit 25 Jahren in Bismarck wohnt.

Ohne den Landeszuschuß gäbe es das Stadtteilprogramm gar nicht, die Stadt Gelsenkirchen kann gerade mal zehn Prozent der Kosten übernehmen. Im Wissen um die klammen Städte hat die Landesregierung das „Stadterneuerungsprogramm 1996“ angeschoben. Rund 440 Millionen Mark investiert sie dieses Jahr in den Umbau der Ruhrgebietstädte, 30 Millionen mehr als im letzten Jahr. Ilse Brusis, die Ministerin für Stadtentwicklung, Kultur und Sport, ist stolz: Ihre Idee war es, „Projekte anzustoßen, die Stadtentwicklung und Denkmalschutz, Arbeitsbeschaffung und Qualifizierung, kulturelle und sportliche Aktivitäten integrieren“.

Dorthin, wo es besonders brennt, sollen zusätzliche Gelder fließen. Gemeint sind „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ – wie eben Gelsenkirchen- Bismarck. Und Gegenden wie Duisburg-Bruckhausen oder -Marxloh, denen im Rathaus „unübersehbare Ghettocharakteristik“ bescheinigt wird. Dort, wo wenige Meter neben dem Werksgelände des Thyssen-Stahlwerks in miesen Buden mit Außentoiletten türkische Familien leben müssen, sollen jetzt nach Ministeriumsplänen „Maßnahmen zur Stabilisierung des sozialen Gleichgewichts“ ergriffen werden. Mit „Bildungs- und Begegnungsstätten“ etwa. Insgesamt 21 „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ werden bislang vom Land gefördert. „Die Anträge kommen von Städten, die die Souveränität hatten, sich einzugestehen, daß es diesen Bedarf bei ihnen gibt“, sagt Regierungsrat Noell, der das Programm im Düsseldorfer Ministerium koordiniert.

Bei der Stadt Ratingen ist das schon seit fünf Jahren der Fall: Das Problem ist die Trabantensiedlung Ratingen-West. Dort hat die Landesentwicklungsgesellschaft vor einem Vierteljahrhundert die sozialdemokratische Variante des „Schöner Wohnens“ in Beton gegossen. Dem damals modischen Städtebaukonzept „Urbanität durch Verdichtung“ folgend, wurden in bis zu 16geschossigen Hochhäusern 500 Menschen auf einem Hektar zusammengedrängt. Mittlerweile leben unter den fast 20.000 Einwohnern Ratingens mehr als die Hälfte aller Sozialhilfeempfänger Düsseldorfs.

Schon lange weiß der Stadtdirektor, daß sich das Negativimage der Satellitenstadt „auch auf das dichte Nebeneinander verschiedener sozialer Randgruppen“ gründet. Gemeinsam mit der „Planergruppe Oberhausen“ verwirklichte die Kommune nach einer Bestandsaufnahme eigene Ideen, um zu entschärfen, was die Bauträgerin Neue Heimat an sozialem Sprengstoff in den Sand setzte. Zwischen der Betonarchitektur fehlen Wiesen und Bäume – und weil „angesichts verschärfter ökonomischer Bedingungen der Obst- und Gemüseanbau wieder an Bedeutung gewinnt“, grub man diverse Flächen zu Mietergärten um. Die werden nicht gemeinschaftlich, sondern individuell genutzt. Außerdem wird im Schatten der Hochhäuser schon seit Jahren darauf Wert gelegt, „die Bewohner zur Mitarbeit anzustacheln“, sagt Vera Segreff von der Ratinger Stadtentwicklungs-Abteilung.

Weithin sichtbar auf einer grün bepflanzten Bergehalde schwingt Bottrops neues Wahrzeichen im leichten Wind langsam hin und her. Knapp drei Millionen Mark kostete der riesige begehbare Tetraeder auf Rechnung der Internationalen Bauausstellung, die mit Wohnungsbau, Industrie-Denkmalpflege, neuen Grüngürteln und der Emscher-Renaturierung überall im Revier Spuren hinterläßt. Nachts wird die hohle Pyramide vielfarbig beleucht. Am Fuß der Bergehalde ist es dagegen andauernd zappenduster.

In die Schlichtbausiedlung am Borsigweg werden seit 30 Jahren jene abgeschoben, die nie eine Chance hatten. Zur Zeit sind etwa 480 Menschen in dem Ghetto untergebracht. Knapp 200 Deutsche, Ausländer und Flüchtlinge aus allen Krisengebieten. Jedem Bewohner der schäbigen Wohneinheiten stehen maximal zehn Quadratmeter zur Verfügung.

An diesem kühlen Spätsommervormittag setzt der Bautrupp in einem Wohnblock neue Fensterrahmen ein. „Tiefer kann man nicht sinken“, meint ein alter Mann, der einen Krückstock schwingt, „das hier ist Endstation Laramy.“ Seit 1961 hat der Alte in der Siedlung mit harter Hand den Hausmeisterjob versehen. Als Rentner wohnt er nun noch immer am Borsigweg. Einige von den Bewohnern der Obdachlosensiedlung sind seßhaft geworden – darunter auch Familien.

Die „Dorfbewohner“ (Selbstbezeichnung) haben es sich, trotz Enge und täglichen Ärgernissen, mit Blumen und Bänken vor der Haustür einigermaßen gemütlich gemacht. Fast alle hier müssen Gemeinschaftsduschen in den Barackenkellern benutzen. „Hordenweise riesige Ratten laufen hier rum, da kriegste Hörner“, ekelt sich ein 35jähriger in grünem ärmellosem T-Shirt und Bermuda- Shorts. Sein Mitbewohner erzählt von dem Kabelbrand neulich im Zimmer, „die ganze Bude war am Fackeln, bis heute ist noch nix repariert“. Obdachlose, alleinstehende Männer sind am ärmsten dran am Borsigweg, „die haben nch nicht einmal einen Rechtsanspruch auf diese Unterbringung“, weiß die Sozialarbeiterin Cornelia Kavermann.

Kavermann arbeitet mit acht Kollegen vom Verein Soziale Brennpunkte in der Siedlung am Borsigweg. Sie beraten Sozialhilfeempfänger und Schuldner, aber auch junge Mütter, „weil denen so viel Wissen, etwa über Ernährung und Erziehung fehlt“. Einen Kinderhort betreibt der Verein auch.

Wenn hier der warme Regen aus dem Stadterneuerungsprogramm niedergeht, verbessert sich am Borsigweg die Wohnsituation für acht ausgewählte Familien: Sie bekommen Heizung und eigene Duschen.