berliner szenen Trockengelegt

Im „Kneipenbuch“ entwerfen 53 Autoren ein ernüchterndes Porträt des Berliner Sauflebens

Prosa und Pils sind schon immer gut Freund gewesen. Zum Image des Autorendaseins gehört fast selbstverständlich dazu, sich mit Trinkfestigkeit und der Leidenschaft für den städtischen Barbetrieb zu brüsten. Im „Berliner Kneipenbuch“ haben jetzt gleich 53 Berliner Autoren Gelegenheit dazu bekommen. Neben den üblichen Verdächtigen der Lesebühnen haben die Herausgeber Björn Kuhligk und Tom Schulz so prominente Schreiber wie Arnold Stadler, Ingo Schulze oder Kerstin Hensel gewinnen können, einen Text über ihre liebste Kneipe in Berlin zu schreiben.

Das Ergebnis ist ernüchternd. Ganz offensichtlich sind nicht nur die Nächte vorbei, als wichtige Autoren in wichtigen Mitte-Bars saßen und wichtige Gespräche führten. Vorbei ist ganz generell der passionierte Rausch, über den es sich dann zu schreiben lohnte. Zum Beispiel bei Ingo Schulze. Der fabuliert erst gar nicht über seine Lieblingskneipe, sondern sitzt miesepetrig hinter dem Fenster seiner Wohnung und hadert mit Leuchtreklame und Gläsergeklapper von gegenüber, die ihn in seiner Nachtruhe stören.

Vielleicht liegt es an Schulzes Abneigung gegen das abendliche Absaufen, dass er nicht bei der Book-Release-Party in der „Berliner Kneipenbuch“ in der ebenfalls porträtierten Kreuzberger Ankerklause dabei ist. Der Besucherandrang würde die Organisatoren konventioneller Autorenlesungen erblassen lassen. Aber schon als der slammende Einheizer Bas Böttcher seinen Platz hinter der Theke einnimmt, ahnt man: Die meisten sind zum Biertrinken hier. Dass hinter den dicken Rauchschwaden jemand laut vorliest, ist eine kaum störende Begleiterscheinung.

Dabei würde es sich durchaus lohnen, Kirsten Fuchs zuzuhören, die als erste von sechs Autoren ihren Beitrag zum Kneipenbuch präsentiert. Er trägt den Titel „Wie ich mal in die Kneipe ging, um überhaupt nichts Neues zu erfahren, niemanden kennen zu lernen und nichts zu trinken.“ Fuchs findet für die allgemeine Unlust, von denen die meisten Texte geprägt sind, eine poetische Umsetzung und erzählt von einer Putzkraft, die früher ein gefeierter Trinker war.

Die dicht gedrängten Kollegen Biertrinker in der Ankerklause applaudieren freundlich und werden dafür mit einer kleinen Liebeserklärung belohnt, die Jan Peter Bremer über die „Destille“, Mehringdamm 67, geschrieben hat. Da kommt immerhin ein bisschen Leidenschaft ins Spiel. Das hilft beim Blättern. Wer schon immer mal wissen wollte, wo Arnold Stadler seine Zigarillos raucht oder Ulrike Draesner auf Männerfang geht, dem wird das Buch doch nützlich sein. Ansonsten aber darf man ins Zweifeln kommen, ob es den Zusammenhang von der Liebe zum Schreiben und der Liebe zum Trinken überhaupt noch gibt.

Als die ersten Gäste die Ankerklause verlassen, steht neben der Tür ein Mann mit erheblicher Schlagseite und bietet selbst kopierte und getackerte Prosabändchen an: Hier ist er, der trunkene Poet, und lallt. Ob der allerdings gute Literatur macht, ist eine ganz andere Frage. Immerhin kann man mit dem noch einen trinken, bevor man nach Hause geht. WIEBKE POROMBKA

Björn Kuhligk, Tom Schulz (Hg.): „Das Berliner Kneipenbuch. Berliner Autoren und ihre Kneipen“. BvT Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2006, 286 Seiten, 9,95 €