die taz vor zehn jahren über deutsche und die kommunitarismus-debatte
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Die meisten US-Kommunitaristen kommen aus einer partizipativen Tradition. Ihre Kritik am selbstbezogenen Individualismus und der sozialen Desintegration zielt nicht einfach auf die Demontage des Sozialstaates. Doch während in den USA die kommunitaristische Position von der Frage ausgeht, wie eine demokratische Gesellschaft das „soziale Kapital“, das sie zum Überleben braucht, aus sich selbst heraus generieren kann, wird in der deutschen Rezeption der Kommunitarismus zu einem gefährlichen Gebräu in konservativer Hand hochgekocht.

Dabei gäbe es genug Möglichkeiten, den Kommunitarismus mit sozialverträglicher Politik zu verbinden. Traditionelle Vereine, Verbände, kirchliche Träger und Selbsthilfegruppen, die aus den neuen sozialen Bewegungen hervorgingen, können soziale Interessen nicht als gruppenspezifische Klientelpolitik, sondern als demokratisches Anliegen artikulieren: Eigeninitiative und soziales Engagement nicht als Kompensation staatlicher Sozialpolitik, sondern als politische Aktivität. Erst so wird der Staat, der mehr Verantwortung des einzelnen fordert, auf die Probe gestellt: Ist Bürgerbeteiligung erwünscht, oder wird sie als Störung behandelt? Wird Eigeninitiative ermutigt oder behindert? Solange Etatisten und Neoliberale die Debatte bestimmen, werden wir in Deutschland wohl noch lange auf ein kommunitaristisches Manifest dieses Zuschnitts warten müssen.

Lothar Probst in der taz vom  1. 2. 1997