Ein Leben in Angst

GEWALT Etwa ein Viertel der über 200 Palästinenser, die seit Ausbruch des jüngsten Krieges zwischen der Hamas und Israel in Gaza getötet wurden, waren Kinder

GAZA-STADT ap/taz | Die Kinder der Familie Attar haben ein Leben in Frieden nie kennengelernt – innerhalb von fünf Jahren haben sie schon drei Kriege erlebt. Immer wieder mussten sie aus ihrem Haus im Gazastreifen flüchten. Zuletzt am Samstag: Israelische Flugzeuge warfen Flugblätter ab und warnten die Bewohner vor weiteren Luftangriffen.

Die Schwestern Mariam und Sada Attar suchten schnell das Nötigste zusammen und rannten zusammen mit ihren zehn Kindern aus dem Haus. Mariams Mann Omar kam ebenfalls mit. Ihn hat der Krieg psychisch krank gemacht.

Der zwölfjährigen Ahmed klammert sich an seine Mutter: „Die Bomben fielen sehr dicht an unserem Haus“, sagt er mit gesenktem Blick. „Ich habe Angst.“

Die Eltern können keine Antworten geben

Die Familie Attar lebt im Nordosten von Gaza, nur wenige Hundert Meter von der israelischen Grenze entfernt. Von hier schießt die Hamas Raketen in Richtung Israel ab.

Die Familie suchte Schutz in einer UN-Schule. Rund 20 solcher Schulen gibt es im Gazastreifen, in denen derzeit etwas 17.000 Flüchtlinge eine vorläufige Bleibe gefunden haben. Die Zustände in der Schule sind chaotisch. Die Klassenräume sind völlig überfüllt, es gibt keine Privatsphäre.

Mariam Attar hat die Nacht mit ihrem 16 Monate alten Baby auf dem harten Steinboden verbracht, weil es nicht genügend Matratzen gab. „Wir dachten, das Haus fällt über uns zusammen“, erinnert sie sich an den letzten Bombenangriff. „Wir konnten nur noch schreien.“

Ihr 14-jähriger Sohn Mohammed und ein Freund erzählen, dass sie oft „Araber und Juden“ spielen würden. Dann bekämpfen sie sich mit Holzstöcken und Spielzeugwaffen. „Die Araber gewinnen immer“, sagen die Jungen. Sada Attar befürchtet, dass für die Kinder Gewalt zur Normalität wird, weil sie nichts anderes kennenlernen. Auch Rasem Shamiya, Berater für die UN-Schulen, bestätigt, dass viele Kinder aggressives Verhalten zeigen, sich nicht konzentrieren können und Kontakt zu anderen Kindern vermeiden.

In Gaza waren etwa ein Viertel der mehr als 200 Todesopfer der vergangenen Tage Kinder, wie die Vereinten Nationen bestätigen. Die Eltern seien zunehmend außerstande, ihre Kinder zu beruhigen, berichtet Pierre Krahenbuhl, der für die UN palästinensische Flüchtlinge betreut. „Die Eltern können keine Antworten geben, wenn die Kinder fragen, warum die Häuser beben, warum es so viel Zerstörung gibt.“ Nach ein paar Tagen ist ein Teil der Großfamilie Attar aus der UN-Schule in ihre Häuser zurückgekehrt. Sie sind ermutigt von dem Vermittlungsaufruf Ägyptens, das sich dafür einsetzen will, die Gewalt zu beenden.

Doch die Feuerpause dauert nur wenige Stunden. Dann werden wieder Dutzende Raketen vom Gazastreifen aus in Richtung Israel abgeschossen, wo die Familien ebenfalls mit der täglichen Angst vor den Angriffen leben müssen und viele Kinder traumatisiert sind. KAREN LAUB