VIETNAM TRITT DER WTO BEI – UND RISKIERT DAMIT SOZIALE VERWERFUNGEN
: Gemischte Gefühle, bekannte Probleme

Die Aufnahme Vietnams in die Welthandelsorganisation (WTO) nach achtjährigen schwierigen Verhandlungen ist seit gestern beschlossene Sache. Dieses Datum erweckt bei all denen, die die Entwicklung Vietnams mit Sympathie verfolgen, durchaus gemischte Gefühle. Denn einerseits öffnet der Beitritt zur WTO der vietnamesischen Ökonomie verbesserte Exportchancen und kann durch Kapitalimport zur Modernisierung der Produktion wie der Infrastruktur beitragen. Auf der anderen Seite aber birgt die durch die WTO geforderte Marktöffnung große Gefahren. Dies betrifft die Warenproduktion wie auch den Finanzdienstleistungssektor. Vor allem aber wird die gesamte, hauptsächlich von kleinen Bauern betriebene Landwirtschaft einem übermächtigen Konkurrenzdruck durch Importprodukte ausgesetzt sein.

Es ist der vietnamesischen Regierung in den letzten 20 Jahren, seit dem Beginn der Wirtschaftsreformen, gelungen, in einem staunenswerten Tempo die Ökonomie zu entwickeln und dabei die Armutsrate zu senken. Dies geschah unter dem Schutz von Importzöllen, die immer als temporäre Maßnahme gesehen wurden. In vielen Entwicklungsländern, die der WTO beigetreten sind, ruinierte die Öffnung der Märkte die einheimische Produktion, aber der Export, hauptsächlich Agrarprodukte, scheiterte an den Zollgrenzen der Industrieländer.

Im Gegensatz dazu stieg der vietnamesische Export mit einer breiten Produktpalette in den letzten beiden Jahrzehnten steil an. So dass die Hoffnung, künftig neue Märkte erschließen zu können, nicht unrealistisch ist. Zumal Vietnam als Ölexporteur vom steigenden Ölpreis profitiert.

Andererseits wird die Öffnung des Binnenmarktes, selbst wenn sie vorsichtig und durch Ausnahmeregelungen abgefedert erfolgt, die Kleinproduzenten und Kleinhändler, aber auch die ArbeiterInnen in Industrien mit schwacher Kapitaldecke in die Krise stürzen. Für soziale Auseinandersetzungen dieses Härtegrades ist – bei all seinen Erfolgen – der autoritäre Einparteienstaat schlecht gerüstet. CHRISTIAN SEMLER