Die Welt ein verstopftes Klo

Jeder will über andere bestimmen. Dafür pumpt sich Kleinbürgerlichkeit auch auf, bis die bigotte Blase platzt: Das Theater Oberhausen zeigt „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab

VON PETER ORTMANN

Die Anatomie der Kultur findet sich in Fäkalien. Theater ist nur noch der Kadaver der Gesellschaft. Und der stinkt. Der österreichische Dramatiker Werner Schwab (1958-1994) hat dies fäkal auf die Bühne gebracht. Die kommunalen Schauspielhäuser dankten es ihm und machte ihn zu Star. „Wirklich verstanden werden meine Stücke nur im Freundeskreis“, sagte er gern in Interviews – und der Pöbel zahle mit seinen Steuern die Subventionen dafür. Doch nicht allzu lange. Schwab starb in einer Silvesternacht jung an Alkoholvergiftung. Im Bochumer Schauspielhaus wurde daraufhin eine seiner angebrochenen Wodka-Flaschen zur Reliquie, bis Matthias Hartmann als Intendant kam, das Haus desinfizierte und sie dabei wohl entsorgte. Schwabs meistgespieltes Stück „Die Präsidentinnen“ hatte jetzt am Oberhausener Theater Premiere.

Worum geht in einem Fäkal-Drama? „Das Stück handelt davon, dass die Erde eine Scheibe ist, dass die Sonne auf- und untergeht, weil sie sich um die Erde dreht; es handelt davon, dass nichts Funktion sein will, nur, Zerstreuung,“ sagt der Autor und lässt im ort- wie zeitlosen Nirwana der Armut drei Frauen aufeinander los. Erna hat gerade die nächste Ebene des sozialen Aufstiegs hinter sich. Sie besitzt nun eine Pelzkappe aus dem Müll und einen Farbfernseher. Gemeinsam mit der flotten Grete, deren Tochter vom Vater immer im Ehebett sexuell missbraucht wurde, und der tumben Mariedl, Heldin aller verstopften Kloschüsseln, schaut sie sich Papst Benedictus` Popshow in Köln an. Ein urkomisches Kaffeekränzchen mit Alkohol, penetranter Frömmelei und aus Echthaut gedrückter Lebensgier nach Wurst, Männern und Fäkalien beginnt. Ein bestialischer Mord beendet das lustige Treiben. Zwei Präsidentinnen bleiben übrig, sinnestrunken nach einem Fleischer namens Ratzinger (bei Schwab hieß der noch Wottila), und einem immergeilen, feschen Musiker mit Landgut, wo die Hündin Lydi kein Scheißdreck mehr fressen bräuchte.

Werner Schwabs Scheißdreck-Welt ist immer noch um uns herum und so macht die Inszenierung in Oberhausen viel Sinn. Regisseurin Anke Schubert lässt die bereits verwesenden Menschenskulpturen (Schwab war studierter bildender Künstler) in einem dunklen Keller ohne viel Requisiten hausen. Der phänomenale Text braucht keine Wohnküchen-Hülle. Es reicht bis heute, dass Mariedl mit ihrer Fingerfertigkeit ohne Gummi-Handschuhe bei der Klo-Reinigung prahlt, um bei Teilen des Publikums Ekel zwischen dem endlosen Grinsen zu erzeugen – und erstaunlicherweise immer noch heftige Reaktionen. „Ein Stück, das die Welt nicht braucht“ murmelt jemand beim Hinausgehen. Eigentlich hat er gerade ein Stück gesehen, das die Welt ist und das mit seiner Schwabischen Sprachschöpfung aus merkwürdigen Wortkausalitäten die meisten jungen Stücke, nebst Pseudo-Zeitgenössischkeit, locker hinter sich lässt.

02. Februar, 19:30 UhrInfos: 0208-8578184