Feiern und feiern lassen

Hunderttausende jubeln Kickern auf der Fanmeile zu

VON BERT SCHULZ

Über die Fanmeile zu lästern ist einfach: Wenn Hunderttausende mit ein paar Kickern und zu den Klängen von Schlagersternchen Helene Fischer singen, schunkeln und saufen, dann kann das nur schrecklich sein. Und wenn das Ganze mit reichlich schwarz-rot-goldener Sauce garniert wird, erst recht. Stimmt ja auch.

Zum Glück hat das alles mit Berlin nichts zu tun. Zumindest nicht mit jenem subversiven Berlin, als das die Stadt in den letzten 25 Jahren von der Welt lieben gelernt wurde, mit seiner Spontaneität, seinen Clubs in Abbruchhäusern, den Partys ohne Lizenz. Die Fanmeile auf dem 17. Juni ist genau das Gegenteil auf einem quasi exterritorialen Gebiet, freigegeben für Partys und Peinlichkeiten aller Art. Man denke nur an Silvester, die Loveparade (R.I.P.), Wiedervereinigungsjubiläumsfeiern etc.

Der Ball im Mittelpunkt

Anders würde die Fanmeile auch nicht funktionieren: Was hier eint, ist die Begeisterung für den Fußball; andere identitätsstiftende Merkmale müssen draußen vorm Zaun bleiben. Und nur deswegen ist der Überzug mit schwarz-rot-goldener Sauce so vergleichsweise harmlos.

Das ist wiederum die typische Mischung für das andere, weltweit verbreitete Image, mit dem die Stadtwerber ihre Arbeit so erfolgreich machen: Berlin ist zwar die deutsche Hauptstadt, das „deutsche“ ist dabei aber nicht so wichtig. Lieber präsentiert man sich generell als weltoffene, Glück verströmende, dauerfeiernde, für alles offene Hauptstadt – wofür auch immer.

Auf dieses Nebeneinander von Mega-Mainstream und Kiezleben kann die Tourismusindustrie noch ziemlich lange bauen. Und die Politik muss dafür sorgen, dass eine Balance zwischen beiden erhalten bleibt. Denn nur Masse – das ist nicht mehr Berlin.

Reportage SEITE 22