Bedingt abwehrbereit?

Kongo, Afghanistan, Bosnien – selbst Parteifreunde halten Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) inzwischen für „überfordert“, die Grünen sogar für „kernüberfordert“. Was ist da dran?

VON CHRISTIAN SCHNEIDER

Weiß Gott, Franz Josef Jung hat es nicht leicht. Obwohl er es weit gebracht hat, immerhin zum Bundesminister für Verteidigung. Zu dem Job also, der für so ungleiche Politiker wie seinen Vornamensvetter Strauß und Helmut Schmidt Sprungbrett für eine erstklassige Politkarriere war. Aber es ist nicht nur der Vergleich mit diesen Schwergewichten der Bonner Republik, unter dem Jung zu leiden hat. Selbst in der eigenen Partei gab es von Anfang an Zweifel an seiner Eignung für den Posten.

Und nie wollte das Gerücht verstummen, sein überraschender Karriereschritt resultiere aus einer ganz besonderen Art der Treue: Als hessischer CDU-Generalsekretär war Jung von seinem Amt zurückgetreten, als Ministerpräsident Koch wegen der schwarzen Parteikassen immer mehr unter Druck geriet. Koch war damit entlastet und Jung hatte etwas gut.

Tatsächlich war es der hessische Ministerpräsident, der wesentlich dazu beitrug, dass Jung das Regierungsamt übertragen wurde. Seither darf er die Aura des Provinzapparatschiks, die ihn so maßgeschneidert umflattert wie einst Napoleon der Mantel der Geschichte, quer über den Globus verbreiten. Davor umfasste der Aktions- und Lebensradius des Winzersohns knapp 20 Kilometer: In Erbach geboren, studierte er in Mainz und wechselte dann wieder auf die andere Rheinseite: nach Wiesbaden, in den hessischen Landtag.

Jetzt weht in jedem zweiten Krisengebiet der Erde bei den Stippvisiten des Ministers ein Hauch bodenständiger hessischer Stammtischmentalität. Wahrlich, man braucht weder Antlitzdiagnostiker noch besonders gemein für die Behauptung zu sein: Dem Manne ist sie anzusehen – die Überforderung.

Denn das ist es, worunter Jung derzeit am meisten zu leiden hat. Allerorten hört man im Zusammenhang mit seiner Person das hässliche Ü-Wort.

Der Job sei für ihn mehr als nur eine Nummer zu groß, Jung sei mit der Aufgabe, einer sich umstrukturierenden Armee in der veränderten politischen Weltlage ein neues Format zu verpassen, heillos überfordert.

Offenbar ist das Amt des Verteidigungsministers für Überforderungsreaktionen prädestiniert. Vorgänger Struck haute es gesundheitlich auf die Matte, Vorvorgänger Scharping sah sich nach einigen peinlichen Flops zum „Downsizen“ gezwungen und steht seither – der richtige Mann am richtigen Platz – dem Bund Deutscher Radfahrer vor.

Und selbst einer wie Strauß glitt auf dem rutschigen Boden der Landesverteidigung aus und musste den Hut nehmen. Franz Josef Jung ist der letzte in der Reihe der Überforderten. Und er ist mehr: Er ist Symptomträger. Denn das Phänomen der Überforderung ist längst das gängige Alltagsschicksal moderner Gesellschaften geworden. Stress, Burnout-Syndrom, Depression – letztlich hängen all diese Symptomatiken und Krankheitsbilder damit zusammen, dass die Menschen mit Anforderungen konfrontiert werden, denen sie sich nicht gewachsen fühlen.

Aus dem Missverhältnis zwischen den alltäglichen Anforderungen in der Familie oder am Arbeitsplatz und der individuellen Leistungsfähigkeit entwickeln sich psychische Spannungen und körperliche Beschwerden. In den Fünfzigerjahren pflegte man solche Stressphänomene mit dem Wort „Managerkrankheit“ zu umschreiben: so als sei das Überforderungssyndrom den ach so geplagten Führungskräften vorbehalten.

Heute ist nicht nur die Depression zur Volkskrankheit geworden, sondern auch die Angst, mit den Aufgaben nicht fertig zu werden, das Pensum nicht zu schaffen, „nicht zu genügen“, in allen Schichten gleichermaßen verbreitet. In der kollektiven Überlastungsreaktion äußert sich der schleichende Umbau der Gesellschaft. Der geforderte „flexible Mensch“ ist immer weniger mit festen Aufgabenprofilen konfrontiert, immer mehr zu Improvisation, Multitasking und Variabilität in allen Lebenslagen gezwungen – samt der Verpflichtung, das öffentlich auch noch als „Herausforderung“ zu feiern.

Es scheint, als wäre der Leistungsgesellschaft das Maß für das Verhältnis von Fähigkeit und Forderung ähnlich gründlich abhanden gekommen wie der Arbeitsgesellschaft die Arbeit. Denn der Clou der Überforderungsgesellschaft, in der wir leben, ist, dass die gleichen Symptome von Stress, Dauermüdigkeit, Rückenschmerzen, Gefühlen des Ausgebranntseins und der Depression auch bei den Menschen beobachtet werden, die gesellschaftlich ausgegliedert werden. In der Überforderungsgesellschaft werden sich der Langzeitarbeitslose und die Führungskraft ähnlich: im Krankheitsbild. Kein Entkommen also? Weitermachen, Jung!