16 Quadratmeter Kunst, immer montags

In Marseille ist er eine Institution: Vor 17 Jahren gründete Bernard Plasse dort die erste subkulturelle Galerie. Derzeit arbeitet er im Gastatelier in Marseilles Partnerstadt Hamburg. Und hofft, dass seine Heimat irgendwann ein fruchtbarer „Melting Pot“ wird

Darf man sagen, er sehe aus wie ein Bilderbuch-Franzose? Schnauzbärtig, hintergründig lächelnd, gern auch schon morgens einem kleinen Wein zugetan? Oder soll man lieber erwähnen, dass er gern provenzalische Lieder singt, die kein Mensch versteht? Dabei ist er kein Sänger, eher ein Multitalent. Einer, der gern Neues sucht: Vor 17 Jahren hat Bernard Plasse, der derzeit im Gastatelier der Stadt Hamburg arbeitet, in Marseille eine winzige Galerie gegründet, die inzwischen zur Institution geworden ist.

16 Quadratmeter misst die „Galerie du Tableau“, doch Plasse gleicht den fehlenden Raum durch einen dichten Rhythmus aus: Seit 1990 hat er jeden Montag eine Ausstellung eröffnet, hat Woche für Woche junge Künstler aus Marseille und der restlichen Welt gezeigt. Hat Zeichnungen, Gemälde, Installationen, Videos, Computerkunst und Performances geboten. Dass die Vernissagen draußen vor der Galerie stattfinden, versteht sich.

„Entstanden ist die Galerie eher durch Zufall“, erzählt der bedächtig parlierende Plasse, der zuvor als Journalist durch Paris, Brest und „die ganze Welt“ tourte und sich schließlich in seiner Geburtsstadt Marseille niederließ. „Ich hatte eine Ausstellung unbekannter Künstler kuratiert, aber mein Galerist wollte sie nicht zeigen. Da habe ich einen eigenen Raum gesucht.“ Sprach’s und mietete bald das winzige Schaufenster an, in dem inzwischen 600 Künstler ihre Arbeiten zeigten – wenige renommierte und viele, die es später wurden.

Als erste subkulturelle Galerie Marseilles lasse sich sein Raum schon bezeichnen, sagt er, und schaut verbittert drein, als er auf den französischen Zentralismus zu sprechen kommt. Selbst die Sammler schauten in erster Linie in die renommierten Galerien aus Paris, statt in ihre eigene Region, erzählt Plasse. Und das versteht er nicht.

Genauso wenig wie die Engstirnigkeit mancher Marseiller Künstler, die nicht zur Vernissage kommen, wenn statt eines Marseiller Kollegen ein Ausländer gezeigt wird. „Das lässt mich ein bisschen verzweifeln“, sagt er und bekommt kalte Augen. Aber nicht für lange. „Ich will mein Leben nicht mit Klagen verschwenden“, rappelt er sich hoch – er, der wenig von Sicherheiten hält und vor allem in Bewegung bleiben will: Internationale Künstleraustausche organisiert er seit 1994 jährlich – auch mit der Partnerstadt Hamburg. „All das bereichert auch die Marseiller Szene“, sagt er, zumal sich dort inzwischen so etwas wie die Kunst des Südens gebildet habe. Als Kontrapunkt zu Paris gewissermaßen. „Denn wir haben hier keine schlechten Künstler.“

Warum ist er aber ausgerechnet ins abgelegene Marseille zurückgegangen? „Ich weiß nicht“, grübelt Plasse. „Ich habe halt so meine Gewohnheiten. Freunde und Familie auch, außerdem ist Marseille eine schöne Stadt.“

Schön? Nun ja, äußerlich natürlich auch heruntergekommen und dominiert von Gewalt und Armut. Aber eben Heimat. Und die Armut, „die hat schließlich nicht Marseille zu verschulden“. Weg ist die Nonchalance, jetzt wird er wütend. „Schließlich hat nicht Marseille Frankreich arm gemacht, sondern umgekehrt. Wer hat uns denn verkommen lassen? Die Industrie und den Hafen niedergehen lassen, ohne gegenzusteuern?“

Aber da murmelt er schon wieder, statt sich aufzuregen, und spricht von den Potenzialen, die eine Stadt wie die seine berge. „Alle Türen stehen doch offen: die nach Afrika, die zum Maghreb, die zum Mittelmeer. Ein exzellenter Melting Pot, dessen Chancen man zeigen muss.“ Er selbst, sinniert er, „habe nur noch ein paar Jahre zu leben. Aber ich würde gern noch Hoffnung sprießen sehen.“

Er sagt das nicht sentimental. Er sieht die Dinge pragmatisch. Er tut, was er kann. Und bemüht sich ganz persönlich, Wege freizumachen, Vergangenheit abzuschließen. Etwa, indem er dieses Buch neu auflegt, das vor ein paar Jahren erschienen ist. Es handelt vom Sklavenhandel eines seiner Vorfahren. „Es ist sein Bordtagebuch, das ich als Dokument zugänglich gemacht habe.“

Warum das? „Es gab da etwas, das ich loswerden, sagen wollte. Dies war der beste Weg, es zu tun.“ Bernard Plasse raucht, schaut aus dem Fenster. „Es ist nicht schön“, sagt er dann, „so jemanden in der eigenen Familie zu haben.“ Petra Schellen