Angst vor „Rutschbahneffekt“

Rheinische große Koalition kämpft gegen Verfassungsschutzumzug nach Berlin. Auch Landesminister Michael Breuer (CDU) gibt sich kämpferisch

VON FRANK ÜBERALL

Eigentlich sollen die Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) den Staat schützen. Im Moment aber ärgern sie sich genau über diesen Staat. Der Grund dafür ist der geplante Teilumzug der Behörde nach Berlin.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die zentrale „Abteilung sechs“ für Islamismusbekämpfung an die Spree holen, um sie näher an seinen Behördenteilen zu haben, die sich um islamistischen Terror kümmern. In der BfV-Zentrale im Kölner Stadtteil Chorweiler kocht deshalb die Stimmung hoch. In Sichtweite des Hochsicherheitstraktes des Verfassungsschutzes hatte die Kölner CDU daher am Montag Abend zu einer Podiumsdiskussion geladen.

Bis zu 400 Mitarbeiter müssten nach Angaben des Personalratsvorsitzenden Gerhard Jakoby bald zwangsweise umziehen. „Manchmal habe ich den Eindruck, dass einzelne Leute in der Regierung ohne das Parlament zu fragen über Behörden bestimmen“, empörte sich Jakoby: „Mein Demokratieverständnis hat da großen Schaden genommen.“ Andere Mitarbeiter sprachen von „Gutsherrenmanier“. Sie habe „inzwischen richtig Probleme mit meiner Arbeit“, meinte eine Verfassungsschützerin. „Wir standen alle mal hinter unserer Arbeit“, rief eine andere wütende Beamtin ins Mikrophon: „Ich weiß nicht, ob Herrn Schäuble das noch etwas bedeutet.“

Sie war mit ihren Kollegen in den vergangenen Wochen mehrfach auf die Straße gegangen. Und das, obwohl dem Team des Inlandgeheimdienstes eigentlich jegliche öffentliche Betätigung dieser Art streng untersagt ist. Schließlich leben Verfassungsschützer gerade davon, dass sie in der Bevölkerung nicht bekannt sind. Das gilt für sie auch ganz individuell als Personen.

Der Geheimhaltungskult wird den engagierten Streitern gegen den Teilumzug nun aber zum Verhängnis. Inhaltliche Argumente werden kaum ausgetauscht, weil nach Angaben des Personalrats nahezu alle wesentlichen Papiere zu diesem Thema innerhalb der Behörde als geheim eingestuft werden. Wer diese weitergibt, macht sich strafbar. „Das Innenministerium zieht hinter den Kulissen die Fäden“, meinte ein Gewerkschafter: „Die Zeit spielt gegen uns!“

Wie die politischen Interessens- und Grabenkämpfe verlaufen, ist inzwischen auch nicht mehr an Parteigrenzen nachzuvollziehen. So unterstützte Schäubles Parteifreund Michael Breuer, NRW-Minister für Bundesangelegenheiten, die Kölner in ihrem Protest: „Ich habe bisher keine tragfähigen Argumente gehört, dass der geplante Umzug einer Abteilung nach Berlin sinnvoll ist“, meinte Breuer vor dem voll besetzten Saal. Viel mehr als der Teilabzug einiger Büros macht dem Düsseldorfer Kabinettsmitglied allerdings ein möglicher „Rutschbahneffekt“ in Richtung Osten Sorgen.

Breuer forderte in seiner Rede Fairness von den Politikern in Berlin ein. An der Aufgabenteilung zwischen dem Rheinland und Berlin müsse unbedingt festgehalten werden: „Es fällt mir immer schwerer, diese Fairness zu entdecken. Es wird Zeit, dass gemerkt wird, dass Deutschland überall stattfindet und nicht nur in Berlin.“ Man wolle nun in der Landesregierung zunächst abwarten, ob Bundesinnenminister Schäuble noch neue Argumente im Umzugsstreit um den Verfassungsschutz liefert. Sei das nicht der Fall, müsse Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) persönlich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) intervenieren.

Die rheinischen Christdemokraten, die sonst nicht gerade als aufmüpfig gegen ihre Parteioberen gelten, meinen es offenbar ernst. Kölns CDU-Vorsitzender Walter Reinarz kündigte eine groß angelegte Unterschriftenaktion gegen Schäubles Umzugspläne an. Im Internet und auf Flugblättern wolle man Protest-Signaturen sammeln, sagte er unter dem Applaus der Staatsschützer bei der Podiumsdiskussion zu. Die anderen politischen Parteien lud er zum Mitmachen ein.

Bei den örtlichen Sozialdemokraten stößt er dabei auf offene Ohren. „Natürlich machen wir da mit“, sagte Kölns SPD-Chef Jochen Ott der taz: „Es ist völlig unverständlich, dass Wolfgang Schäuble noch vor einem Jahr gesagt hat, die Behörde bleibt komplett in Köln. Ich bezweifle auch, dass durch den Teilumzug mehr Sicherheit in der Bundesrepublik erreicht wird – ganz im Gegenteil!“