Keine Zeit für Problemfälle

INKLUSION In den Horten von freien Trägern soll Personal gekürzt werden. Für die Förderung von sozial schwachen Kindern bleibt dann keine Zeit mehr, so die Befürchtung

■  Im Jahr 2005 führte Berlin die Ganztagsschule ein. Zwei Berechnungssysteme trafen bei der Hortbetreuung aufeinander.

■  In den städtischen Einrichtungen wird die Leitungsstelle nach dem Personalschlüssel berechnet – ab vier Erziehern wird eine Leitungsstelle gewährt, mehr gibt es nicht.

■  Bei den freien Trägern hängt die Zahl der Leitungsstellen von der Kinderzahl ab: Ab 162 Kindern wird eine volle Stelle gewährt, ab 324 eine zweite usw. Mit der Reform soll das System der freien Träger an das städtische angeglichen werden, um Kosten zu sparen. (gs)

VON GESA STEEGER

Die „Froschpiraten“ und „Erdmonster“ tollen auf dem Schulhof herum. Bälle schießen kreuz und quer, mitten im Geschehen ein ruhiger Fels: Mike Menke, Hortleiter der Erika-Mann-Grundschule in Wedding, behält den Überblick. „Ich mag meinen Job“ sagt der 53-Jährige. „Die Frage ist nur, wie lange noch.“

Grund für Menkes Sorgen ist eine neue Verordnung der Senatsbildungsverwaltung. Diese plant, den Leitungszuschlag für Hortgruppen von freien Trägern zum kommenden Schuljahr zu kürzen. Bisher werden bei ihnen die Zuschläge für Leitungsstellen nach der Zahl der Kinder berechnet (siehe Kasten). Geht es nach dem Senat, soll es künftig nur noch eine Leitungsstelle pro Einrichtung geben und die auch nur, wenn mindestens 90 Kinder betreut werden. Dahinter steht der Plan, das System der Leitungsfinanzierung freier Träger an das für städtische Ganztagsbereiche anzupassen, die schon immer nur maximal eine Leitungsstelle haben.

Betreuungsqualität leidet

Prinzipiell sei eine Anpassung nicht verkehrt, findet Menke, „nur sollte die nicht automatisch in Richtung des schlechteren Systems stattfinden“. Für ihn und sein 40-köpfiges Team bedeutet die Verordnung der Senatsverwaltung nicht nur den Verlust von Stellen. Menke sorgt sich vor allem um die Qualität der Betreuung. Getragen wird der Hort vom Deutschen Kinderschutzbund. 2,4 Leitungsstellen in Vollzeit werden dem Hort bisher bewilligt. Nach der Reform wird es nur noch eine Stelle sein. „Panik“, sei dass, was er fühle, wenn er an die Zukunft denke, sagt Menke.

Etwa 375 Kinder werden im Hort der Erika-Mann-Grundschule betreut, von montags bis freitags. Schon jetzt sei der Arbeitsaufwand enorm, erzählt der Hortleiter. Hausaufgabenhilfe vor der Schule ab sechs Uhr früh, Mittagessen, Nachmittagsbetreuung bis 18 Uhr. Für Menke und seine Stellvertreterin kommen tägliche Elterngespräche, Personalplanung, die Erarbeitung pädagogischer Konzepte und der Austausch mit Kinder- und Jugendhilfe hinzu.

Die Erika-Mann-Grundschule ist eine sogenannte Brennpunktschule. Rund 80 Prozent der Kinder kommen aus Familien, die auf Transferleistungen angewiesen sind. Weil die Eltern dieser Kinder in der Regel nicht arbeiten, gibt es Hortbetreuung für sie nur, wenn Bedarf für eine spezielle Förderung – etwa für die Sprache oder beim Lernen – attestiert wird. Solche Gutachten schreiben Menke und seine Mitarbeiter am laufenden Band. Denn gerade die Kinder aus sozial schwachen Familien, findet Menke, brauchen den Hort am nötigsten.

Er und seine Mitarbeiter helfen den Eltern daher durch den deutschen Bürokratiedschungel. Sie helfen, Anträge zu stellen, vermitteln und beraten. Sollte die Kürzung der Leitungsstellen tatsächlich durchkommen, könnte das bedeuten, dass diese zusätzliche Unterstützung der Eltern wegfallen müsste, befürchtet Menke. Die Konsequenz wäre, dass gerade solche Kinder, die eh schon mit Benachteiligung zu kämpfen haben, den Hort nicht mehr besuchen könnten.

Über ein paar Treppen geht es in die zweigeschossige Mensa. An kleinen Tischgruppen hocken Kinder über dampfendem Couscous. Schulranzen liegen ordentlich aufgeschichtet am Rand und warten auf ihre Besitzer. Menke grüßt hier und da ein Kind, schwatzt mit den Damen aus der Küche und schaut nach dem Rechten. „Uns geht es hier vor allem um soziale Inklusion und gleiche Bildungschancen für alle Kinder“, erklärt Menke sein Konzept. Es gehe um Spaß, um Anerkennung, um das Vermitteln von Erfolgserlebnissen außerhalb von Schule und Familie.

Wegen der geplanten Stellenkürzung hat Menke gemeinsam mit dem Berliner Dachverband der Kinder- und Schülerläden (DaKS), dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und rund 80 weitere UnterstützerInnen einen offenen Protestbrief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) geschrieben. Erster Erfolg: Ein mögliches Kompromissangebot, das die Schulverwaltung den beteiligten Verbänden am heutigen Montag vorstellen wird. Wie das aussehen wird, war vorab noch völlig unklar.

Darüber, was passiert, wenn es doch keinen Kompromiss gibt, denkt Menke ungern nach. Das Wichtigste seien jetzt erst mal die Sommerferien: Er will mit den Hortkindern verreisen. „Endlich mal raus aus dem Kiez.“ Das erweitere den Horizont, sagt der Hortleiter. Der könnte sich, wenn es nach der Bildungsverwaltung ginge, für viele Kinder bald beträchtlich verengen.