Fallstrick Irak

AUS WASHINGTON BERND PICKERT

Es ist eine erstaunliche Erfahrung für die Demokraten in den USA: Zum ersten Mal seit den Terroranschlägen vom 11. September können sie Kritik an der Außenpolitik der Bush-Regierung zum Wahlkampfthema machen, ohne dabei von ihren republikanischen Gegenspielern erfolgreich als „Weichlinge“ oder gar Vaterlandsverräter gebrandmarkt zu werden.

Beispiel Pennsylvania. Hier steht der republikanische Senator Rick Santorum zur Wiederwahl gegen seinen demokratischen Herausforderer Bob Casey an. Santorum ist ein konservativer Hardliner, der sich in der Vergangenheit vor allem durch radikales Verhalten in den Herzensangelegenheiten der christlichen Rechten ausgezeichnet hat – etwa bei den Themen Homoehe oder Abtreibung. Jetzt wird Santorum auch als Kriegsunterstützer angeprangert. Doch seine verzweifelten Versuche, die Demokraten als Gefahr für die nationale Sicherheit anzuprangern, schlagen fehl. 16 Prozentpunkte liegt Bob Casey in Führung, und selbst ein aggressiver Wahlkampfspot Santorums, in dem er Bilder explodierender Atomwaffen, den iranischen Präsidenten, Nordkoreas Diktator und Bob Casey zusammenschneidet, hat sich nicht ausgezahlt: Casey hat seine Führung sogar ausbauen können.

So bleibt der Irakkrieg zwar das Wahlkampfthema Nummer eins – doch bei genauem Hinsehen bleiben die Demokraten konkrete Antworten schuldig.

Auch Präsident George W. Bush, nach wie vor unpopulär und daher in vielen Bundesstaaten nicht sehr gern gesehener Gast der republikanischen Kandidaten, versuchte sich am Montag in jener Strategie, die sich in den letzten beiden Wahlkämpfen nach 9/11 als so erfolgreich erwiesen hatte: Die Terroristen würden gewinnen, wenn die Demokraten die Kongresswahlen für sich entschieden, warnte der Präsident: „Wie auch immer sie das erzählen; der Ansatz der Demokraten für den Irak bedeutet ganz einfach: Die Terroristen gewinnen und Amerika verliert“, sagte Bush bei einem Wahlkampfauftritt in Georgia. „Das Ziel der Demokraten ist es, aus dem Irak abzuziehen. Das Ziel der Republikaner ist es, im Irak zu gewinnen.“

Auch in Connecticut, wo der ehemalige demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Joe Lieberman, ein konservativer demokratischer Senator, dieses Jahr die Vorwahlen der Demokraten gegen den Antikriegskandidaten Ned Lamont verloren hatte und jetzt offiziell als unabhängiger Kandidat auftritt, versucht sein Herausforderer das Irakkriegsthema zu bearbeiten, das erstaunlicherweise bislang im dortigen Wahlkampf keine herausragende Rolle gespielt hatte. „Wir gehen zurück zu unseren Wurzeln“, erklärt ein Berater Lamonts der New York Times, „Sie wollen über das Thema nicht sprechen, wir wollen nicht, dass es in Vergessenheit gerät.“ Noch führt Lieberman in den Umfragen.

Die jüngsten Nachrichten von der höchsten Opferzahl amerikanischer GIs im Irak seit anderthalb Jahren und dem Verschwinden tausender von den USA an die irakischen Streitkräfte gelieferter Waffen im Irak löst schon keine Empörung mehr aus. Zwar widmet die New York Times den verschwundenen Waffen in der gestrigen Ausgabe einen Leitartikel – doch auch der reflektiert die inzwischen zum Gemeinplatz gewordene Sicht auf die Dinge: Wo fast alles schief läuft, überrascht auch das nicht mehr. Eine Mehrheit ehemaliger Generäle übt scharfe Kritik an der Regierung, Bush selbst räumt Fehler ein, und immer mehr Republikaner fordern den Kopf von Pentagonchef Donald Rumsfeld. Kein Wunder, dass die republikanische Botschaft, man könne den Demokraten nicht vertrauen, immer weniger verfängt. Kein Wunder, dass das Weiße Haus verzweifelt vom eigenen Versagen abzulenken versucht. Die Aufständischen im Irak, meinte am Montag Vizepräsident Dick Cheney, wollten mit immer mehr Gewalt den Wahlverlauf in den USA beeinflussen.