Die Tage danach

über Tränen und Bier, Normalität und Entzug

NORA MBAGATHI

Unsere Autorin, 23, studiert in Kairo und hat in den vergangenen zwei Wochen über den Alltag und die Revolution in Kairo geschrieben.

Die Uni hat wieder angefangen. Am Sonntag, in Ägypten ein Werktag. Die Verwaltung ist wie immer schlecht organisiert, und wir alle wissen, dass das nichts mit der Revolution zu tun hat. „Drei Wochen friedlich auf dem Tahrir-Platz demonstriert, aber eine halbe Stunde hier, und ich möchte um mich schießen“, höre ich jemanden sagen. Ich verstehe ihn.

Die meisten Gespräche aber sind unspektakulär: „Was hast du über den Winter gemacht?“ Nichts auf dem weit außerhalb der Stadt liegenden Campus der Amerikanischen Universität erinnert an die Feststimmung, die vor zwei Tagen in Downtown herrschte. Voll Sehnsucht denke ich an das Bier, das Freitagnacht umsonst in einigen Straßen ausgeschenkt wurde, und grinse in mich hinein. Islamistische Revolution? Von wegen. Meine Freunde und ich haben nach Mubaraks Rücktritt in dem Club von Nadas Vater die Nacht durchgetanzt. Immer wieder fing jemand an zu weinen, aber an diesem Abend waren es Freudentränen. Begleitet von all der arabischen Musik, die Nada und ich unter den CDs beim Mischpult finden konnten. Mona verbrachte die Nacht noch einmal bei mir in der Wohnung. Zum ersten Mal seit drei Wochen stellten wir unsere Handys auf lautlos.

Als wir am nächsten Morgen viel zu spät aufwachten, war ich sehr verkatert. Unter normalen Umständen hätte ich mich in meinem Bett umgedreht und den Tag durchgeschlafen. Stattdessen habe ich endlich mal wieder einen kurzen Rock angezogen, Schmuck angelegt und bin nach Zamalek gefahren. Um dort auf Kutas Couch weiterzuschlafen. Hauptsache: nicht in Downtown.

Als ich nach einem reichen Abendessen nach Hause kam, setzten Lamma und ich uns vor den Laptop, um all die Fernsehserien nachzuholen, die wir in den letzten Wochen versäumt hatten. Wir waren sehr erschöpft und sehr glücklich.

„Nora!“ Arwa reißt mich aus meinen Gedanken. „Haben wir gemeinsame Kurse?“, fragt mich die Journalistikstudentin. „Ach, du bist ja Nahostwissenschaften. Na, das wird bestimmt spannend dieses Semester.“ Ich verziehe das Gesicht. Die Vorstellung, ein ganzes Semester Revolutionen zu analysieren, stimmt mich nicht gerade fröhlich.

Ich hatte mich auf Normalität gefreut. Doch jetzt bin ich leicht reizbar, und Vorlesungssäle machen mich ungeduldig. „Tahrir-Entzugserscheinungen“, stellt Nada sachkundig fest. Ja, vielleicht.