Die Kur nach dem Schock

In Grömitz hat die bundesweit erste Kurklinik für krebskranke Frauen und ihre Kinder eröffnet. Während die Mütter dort nach der Krebsbehandlung wieder zu Kräften kommen, lernen die Kinder, mit der Krankheit ihrer Mutter umzugehen

Die Kinder werden selbst als Patienten betrachtet und psychologisch betreut. Die Krankheit der Mutter löst auch bei ihnen Ängste aus

Von Esther Geißlinger

Die Diagnose war ein Schock: Brustkrebs. Annette Rexrodt von Fircks war gerade 35 Jahre alt, als sie die Nachricht erhielt. Die Prognose war schlecht. Wie sollte sie selbst damit umgehen – und vor allem: Wie und was sollte sie ihren damals drei und sieben Jahre alten Kindern sagen? „Bei der Frage konnten mir auch die Psychologen nicht helfen. Mein Mann und ich standen allein“, erinnert sie sich.

Der Kampf gegen die Krankheit dauerte lange – Annette Rexrodt von Fircks hat ihn gewonnen. Sie schrieb Bücher über ihre Erfahrungen und gründete eine Stiftung, um Frauen in gleicher Lage zu helfen. Allein an Brustkrebs erkranken in Deutschland jährlich 55.000 Frauen, rund 27.000 von ihnen haben Kinder, die noch zu Hause leben. Rund 150.000 Kinder sind pro Jahr neu von der Krebserkrankung eines Elternteils betroffen, sagt Anette Rexrodt von Fircks. Behandelt wurden bisher nur die Eltern – das Leid der Kinder blieb außen vor. Diese Lücke soll nun ein neues Angebot schließen, für das Rexrodt von Fircks als Initiatorin Mitstreiter gewonnen hat: Unter dem Motto „gemeinsam gesund werden“ bietet die Klinik Ostseedeich in Grömitz (Schleswig-Holstein) Kuren für Mutter und Kind an.

Einige Krankenkassen sind in die Finanzierung eingestiegen, das Mutter-Kind-Hilfswerk in Neuhaus am Inn berät die betroffenen Familien. Obwohl das Angebot noch ganz neu ist, kommen täglich Anfragen, berichtet Sonja Rogmans vom Hilfswerk: „Täglich sind es zehn bis 20 Anrufe, die meisten Frauen sind zwischen 25 und 35 Jahren alt.“ Leider, bedauert sie, werde nicht jede Kur bewilligt. Das Hilfswerk unterstützt die Frauen bei den Anträgen.

Zwischen zwanzig und dreißig Frauen und deren Kinder nehmen pro Gruppe an der dreiwöchigen Kur teil. Alle Frauen haben eine Brustkrebstherapie hinter sich, brauchen aber noch Reha-Maßnahmen. Die Kinder gelten als Patienten, nicht als „Begleitkinder“ – sie erhalten psychologische Betreuung, um die Krankheit der Mutter zu verarbeiten. „Das ist wichtig, um spätere Folgen zu vermeiden“, sagt Rogmans. „Und spart damit den Kassen sogar Geld.“

Davon wollten die allerdings anfangs nichts hören. Erst allmählich setzte das Konzept sich durch: Mehrere der großen Kassen und Verbände beteiligen sich inzwischen. Annette Rexrodt von Fircks nennt einige der psychologischen Probleme, die bei Kindern auftauchen können: „Einige nässen wieder ein, andere fühlen sich selbst schuldig, andere versuchen, die ganze Familie zu stützen.“ Einsamkeit und Ängste entstehen in der langen Phase, in der die Eltern im Krankenhaus sind. Die Therapie wirke da Wunder: „Ein Junge, der gar nicht mehr zur Schule gehen wollte, lernte während der Kur, sich wieder von seiner Mutter zu lösen.“ Wichtig sei für die Mädchen und Jungen allein schon, Gleichaltrige zu treffen, die ähnliches durchgemacht haben.

Die Väter sind bei der Kur nicht durchgehend dabei. Sie werden aber zu einem Workshop mit eingeladen. Die Eltern bekommen Tipps: Etwa, wie sie mit ihren Kindern altersgerecht über Themen wie Tod und Krankheit reden können, welche Informationen besprochen und welche besser verheimlicht werden sollten. „Etwa, wenn eine Nachsorgeuntersuchung bevorsteht, es aber noch kein Ergebnis gibt“, sagt Rexrodt von Fircks. „Erwachsene können mit ihrer Angst umgehen, für die Kinder kann es eine Überforderung sein.“

Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen fand sie den Zeitpunkt der Kur, nach überstandener Ersterkrankung, sinnvoll: „Vorher ist man so dermaßen vollgestopft mit Problemen, dass dafür keine Kraft bleibt.“ Aber auch nach einer gelungenen Therapie bleibe das Damoklesschwert Krebs, auch und gerade für die Kinder: „Sie hören vielleicht in der Schule: Meine Tante hatte das und ist daran gestorben. Damit müssen sie umgehen lernen.“ Und die Frauen, die eine Krankheit hinter sich gebracht haben, werden weiter von Ängsten geplagt: „Eigentlich ist alles gut, aber man fühlt sich trotzdem traurig oder ängstlich. Das muss man mit dem Kind besprechen.“

Die Klinik Ostseedeich in Grömitz, die einzige, die diese Kur anbietet, schien der Initiatorin aus verschiedenen Gründen ideal: „Es muss in der Nähe eine Universitätsklinik geben, hier Lübeck, um das Projekt zu begleiten und Ergebnisse zu evaluieren.“ Außerdem sei die Klinik bereit gewesen, Kinderpsychologen und Fachpersonal für die neue Klientengruppe einzustellen.

Das Modellprojekt in Grömitz ist zunächst für fünf Jahre geplant. Wie lange die Angst vor dem Krebs nachwirkt, hat Annette Rexrodt von Fircks in der eigenen Familie gespürt: Als ihre Tochter in die Pubertät kam, litt das elfjährige Mädchen wochenlang unter Panik: Sie hielt ihre wachsenden Brüste für Tumore.

Weitere Informationen über die Kuren gibt es kostenlos unter ☎ 0800 - 22 55 100