Ruhe nach dem Sturm

35.000 Zugkilometer Stillstand in NRW: Orkan Kyrill bringt der Bahn eine Betriebspause und Kritik von Fahrgastverbänden. Verkehrsminister Oliver Wittke hingegen lobt das Krisenmanagement

VON KLAUS JANSEN
UND CHRISTIAN WERTHSCHULTE

„Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ Mit diesem Spruch warb die Deutsche Bahn in den 50er Jahren um Kunden. Nach der Sturmnacht von Donnerstag hat sich die Bedeutung des Slogans ins Gegenteil verkehrt: In NRW stört sich derzeit niemand mehr am Wetter – dafür viele Pendler an der Bahn. „Die Bahn war auf die Notfallsituation nicht angemessen vorbereitet“, sagt Hartmut Buyken, Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn. „Das Unternehmen muss sich auf solche Wetterlagen einstellen“, fordert der Verkehrsexperte des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Werner Reh.

Mit Ausbruch des Sturms hatte die Bahn ihren Verkehr in NRW flächendeckend eingestellt – aus prophylaktischen Gründen, wie Unternehmenssprecher Udo Kampschulte bestätigt. Fast 4.000 Menschen mussten an Bahnhöfen oder in Zügen übernachten, obwohl der Orkan bereits Tage vorher angekündigt worden war. Auch am späten Freitag Nachmittag lief der Verkehr noch nicht wieder störungsfrei. „Die Reaktion war inadäquat“, kritisiert Pro Bahn-Sprecher Buyken. Das Personal der Bahn sei schlecht informiert gewesen, Ausfallpläne hätten nicht existiert. Dies liege auch am Sparkurs von Bahnchef Hartmut Mehdorn, der den Konzern für einen Börsengang „gesundschrumpfen“ wolle, sagt Buyken.

Von der nordrhein-westfälischen Landesregierung wird die Bahn für ihr Krisenmanagement jedoch gelobt: „So weit ich das überblicken kann, ist alles sehr professionell gelaufen“, sagt Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU). Er verweist darauf, dass die Bahn Taxigutscheine ausgestellt und Wartende mit Decken und Kaffee versorgt habe. „Das war eine flächendeckende Extremsituation, wie wir sie in NRW noch nie erlebt haben“, so Wittke zur taz. In dieser Lage sei es vernünftig gewesen, die Strecken zu sperren. Auch Bahn-Sprecher Kampschulte weist die Kritik der Verbände als „äußersten Quatsch zurück“.

Bahn und Verkehrsverbünde wollen die Ereignisse der Sturmnacht in den kommenden Tagen analysieren. Allerdings ist schon jetzt absehbar, dass auch beim nächsten Orkan kein flächendeckender Ausweichverkehr mit Pendelbussen eingerichtet wird. „Das ist abseits der Realität“, sagt Hans Oehl, Sprecher des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr. Die Bahn bezeichnet dies als „logistisch nicht machbar“.

BUND-Verkehrsexperte Reh schlägt nun alternativ eine Schneise entlang der wichtigsten Strecken vor, damit keine Bäume mehr auf die Gleise fallen können. Gleichzeitig müssten Hänge mit Netzen oder Stützmauern gesichert werden: „Das bringt zwar keinen Applaus von Naturschützern, im Zweifelsfall muss die Funktionsfähigkeit der Bahn aber Priorität haben“, sagt er.

CDU-Landesverkehrsminister Oliver Wittke spricht sich allerdings gegen ein „Kahlholzen“ der Bahnstrecken aus – die Grüngürtel seien „ökologisch wichtig“. Am Donnerstagabend sei er übrigens „spät aber tadellos“ nach Hause gekommen, sagt er. Mit dem Auto.