Mit der Ägypterin beim Ägypter

STÄRKEN Sie hat keinen Appetit. Sie sorgt sich um die Verwandtschaft, die Heimat. Aber der Minztee tut gut

VON KIRSTEN KÜPPERS

Mariam S. hat seit Tagen keine guten Sachen gegessen. Sie ernährt sich von Toast, Kaffee und Zigaretten. S. ist 26 Jahre alt, wohnt in Berlin, arbeitet als Übersetzerin und kommt aus Ägypten. Und natürlich hat man als Ägypterin gerade andere Probleme, als an Essen zu denken.

Das Wichtige spielt sich auf einem großen Platz in Kairo ab. Die Menschen dort gehen für etwas Neues auf die Straße, für große Dinge wie Freiheit und Demokratie. Seither ist das Land in eine seltsame Zwischenzeit geschlittert. Ein Präsident, der wie ein seniles Familienoberhaupt wirkt. Der den Zeitpunkt zum Gehen verpasst. Das alte System bröselt, junge Leute schwenken Transparente, viele werden verhaftet, nachts ziehen Plünderer los.

Die Bilder aus Ägypten landen bei Mariam S. auf dem Bildschirm in Berlin. Fast den ganzen Tag sitzt sie vor dem Computer, guckt sich Facebook-Seiten an, die Internetseiten von CNN, al-Dschasira, deutsche Fernsehsender. „Keiner hat damit gerechnet, was da passiert“, sagt sie.

Mit der Überraschung kam die Hoffnung. Dann die Angst. S. macht sich Sorgen um die Verwandtschaft in Alexandria. Sie weiß nicht, ob die ganze Sache gut ausgeht.

S. ist eine junge Frau mit offenem, rundem Gesicht und dichten Korkenzieherlocken. Es ist nicht einfach, sie zum Essengehen zu überreden. Aber an diesem Morgen war demonstrierte S. vor der ägyptischen Botschaft in Berlin. Danach stand sie den ganzen Tag im kalten deutschen Nieselregen als Mahnwache vor dem Brandenburger Tor. „Wir wollen die Welt daran erinnern, dass die Menschen in Ägypten gerade ihr Leben riskieren“, sagt sie. Die Mahnwache soll bis tief in die Nacht gehen. S. hat den ganzen Tag noch nichts gegessen, ihre Stiefel sind nass. Gegen einen „Pharao-Vorspeisenteller“ im ägyptischen Restaurant Horus in Kreuzberg ist nichts einzuwenden. Als Erstes bestellt S. einen schwarzen Tee mit Minze, um sich aufzuwärmen. Gegen das Berliner Wetter haben die Horus-Betreiber Plastikpalmen und Schischapfeifen aufgestellt, geknüpfte Teppiche aufgehängt. Als der Wirt erfährt, dass S. aus Alexandria kommt, sagt er auf Arabisch: „Es war kein gutes Wochenende.“ Er verschwindet in der Küche, es ist unklar, ob er die Demonstrationen meint oder die Gewalt gegen die Protestierenden.

Sie bieten die typischen ägyptischen Speisen an: Falafel, Hähnchenschawarma, Gerichte mit scharf angebratenem Lamm, Zwiebeln, Paprika, Zimt und Zitrone. Aber S. isst kein Fleisch mehr. In Ägypten seien die Lebensmittelpreise in der Vergangenheit so stark gestiegen, dass die meisten Leute sich nur zweimal im Jahr Fleisch leisten könnten, erklärt S.: „Da habe ich irgendwie auch keine Lust drauf.“ Sie stochert in den gerösteten Auberginen. Sie sagt, dass es wie zu Hause schmecke: die Sesampaste, das Kichererbsenpüree, der Joghurt mit Gurken. Wahrscheinlich ist sie gerade einfach zu nervös zum Essen.

Die Schischapfeifen blubbern, die Luft im Gastraum ist schwer und parfümiert vom Rauch. S. guckt aus einem müden Nachtschichtgesicht. In der vergangenen Nacht ist sie spät ins Bett gekommen. Denn das tun sie gerade, die meisten Ägypter in Berlin: Sie bleiben zusammen. Sie sitzen und reden: über die Familien in Ägypten, über die nächsten Demonstrationen, über die neuen Bilder, die sie im Internet gefunden haben. Manchmal fängt einer an, auf der Laute zu spielen. Dann singen sie ein bisschen. Singen die große Aufregung klein. Manchmal dauert das bis zum Morgen.

Als sie heute vor der ägyptischen Botschaft demonstrierten, standen Männer mit Fotoapparaten hinter den Fenstern, erzählt S. Die Männer hätten die Demonstranten fotografiert. Es kann sein, dass sie, wenn sie das nächste Mal in Kairo aus dem Flugzeug steigt, gleich verhaftet wird, glaubt S. Ihr Lächeln verrutscht.