THOMAS RUTTIG ZUR PRÄSIDENTSCHAFTSWAHL IN AFGHANISTAN
: Nervenspiel am Hindukusch

Die US-geführte Koalition trägt ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für dieses Desaster

Nach 23-tägigem Warten seit der Stichwahl am 14. Juni (der erste Wahlgang fand sogar schon am 5. April statt!) haben die Afghaninnen und Afghanen immer noch keine Gewissheit, wer nun ihr neuer Präsident und Karsai-Nachfolger werden wird, Ex-Außenminister Abdullah Abdullah oder Ex-Weltbanker Aschraf Ghani.

Der nach dem ersten Wahlgang deutlich führende Abdullah liegt nun um über eine Million Stimmen hinter Ghani. Abdullah führt diesen Umschwung natürlich auf Manipulationen zurück. Die Wahlkommission gestand am Montag ein, dass es Fälschungen gegeben hat – allerdings auf beiden Seiten.

Jetzt soll ein Audit etwa der Hälfte der 8,1 Millionen abgegebenen Stimmen durchgeführt werden, was theoretisch das Ergebnis noch einmal umstülpen könnte. Aber vorher müssen beide Kandidaten zustimmen. Dass Abdullah von einem „Putsch“ spricht und führende Unterstützer eine „Parallelregierung“ bilden wollen, ist allerdings ein Spiel mit dem Feuer.

Wie auch immer dieses Nervenspiel ausgeht: Mehrere Millionen Wähler werden das endgültige Ergebnis als Betrug ansehen. Das führt zu Polarisierung und stellt wieder einmal die politische Stabilität des Post-Taliban-Afghanistan infrage. Die US-geführte Koalition, die ihre militärische „Mission“ am Hindukusch propagandistisch als Erfolg verkauft, trägt ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für dieses Desaster.

In allen fünf bisherigen Präsidenten- und Parlamentswahlen interessierte sie nur, dass, aber kaum wie gewählt wurde. Sie hat eine Fassadendemokratie mit zu schwachen Institutionen geschaffen, die diese Krise allein nicht lösen können.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Verlierer der Wahl einen neuen Fraktionskrieg als zu hohen Preis dafür empfindet, recht zu behalten, und die UNO weiter vermitteln kann.

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