Vier Klagen für Karlsruhe

KLAGEN Karlsruhe muss über Verschärfungen der Sicherungsverwahrung urteilen. Es geht um den Stand der Menschenrechtskonvention in Deutschland

FREIBURG taz | An diesem Dienstag schaltet sich das Bundesverfassungsgericht endlich in einen Streit ein, der den Rechtsstaat schon seit Monaten auf eine harte Probe stellt. Müssen über hundert Straftäter, die noch als gefährlich gelten, aufgrund der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden? Und wenn ja, wer muss die unpopuläre Entlassung anordnen – die Gerichte oder der Gesetzgeber?

Karlsruhe verhandelt jetzt über vier Klagen: In zwei Fällen geht es um Männer, die einst (zusätzlich zur Haftstrafe) zu maximal zehn Jahren Sicherungsverwahrung verurteilt wurden. Sie wurden aber nicht entlassen, weil der Gesetzgeber inzwischen die Zehnjahresfrist weitgehend abgeschafft hatte. Beide Kläger, die unter anderem wegen Vergewaltigung verurteilt wurden, berufen sich auf das Verbot rückwirkender Strafgesetze.

In den anderen beiden Fällen wurden die Straftäter zunächst nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Sicherungsverwahrung wurde erst nachträglich angeordnet. Dagegen klagten ein Vergewaltiger und ein Mörder. Der Mörder war zur Tatzeit erst 19 Jahre alt und war wegen mangelnder Reife sogar nur zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, bevor die Sicherungsverwahrung nachgeschoben wurde.

Die drei Gesetze, die jetzt in Karlsruhe auf dem Prüfstand stehen, haben unterschiedliche Urheber. Die Aufhebung der Zehnjahresfrist war 1998 eine Entscheidung der schwarz-gelben Koalition. Die bundesweite Einführung der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung erfolgte 2004 unter Rot-Grün. Die Ausweitung auf Jugendtäter war 2008 ein Akt der großen Koalition.

Alle drei Gesetze verstoßen gegen die Europäische Menschenrechts-Konvention, sagt der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte. Die Umsetzung dieser Urteile wäre aber am einfachsten, wenn Karlsruhe nun zusätzlich auch einen Verstoß gegen das Grundgesetz annehmen würde. Es müsste dann allerdings zwei eigene Urteile aus dem Jahr 2004 als falsch revidieren.

Mit so viel Großmut ist vermutlich nicht zu rechnen. Deshalb wird Karlsruhe jetzt wohl in komplizierte Abwägungen einsteigen und muss dabei den Stellenwert der Menschenrechtskonvention bestimmen.

Das Urteil wird erst einige Monate nach der Verhandlung verkündet. CHRISTIAN RATH