BUDDHISTEN SCHWEIGEN
: Gott ist laut
Töne sind ein Umweg

HALLELUJA Ein junger Mann will durchsetzen, dass der Ruf des Muezzin überall in Deutschland erklingt. Aber machen nicht schon Kirchenglocken genug Lärm zum Lob des Allerhöchsten? Eine Hörprobe

■ 85 Dezibel hat ein buddhistischer Gong mit 40 Zentimeter Durchmesser. Gemessen in einem Berliner Tempel mit der Smartphone-App „deciBel“ aus etwa einem Meter Entfernung.

■ 75 Dezibel erzeugt der jüdische Schofar, ein Blasinstrument aus Widderhorn. Gemessen wurde im Büro des Berliner Rabbiners Yitzhak Ehrenberg. Er holte es extra aus seinem Eichenschrank.

■ 65 Dezibel laut sind die Glocken der Stiftskirche in St. Gallen. Den Lärmpegel der Kathedrale hat ein genervter Anwohner aus etwa 100 Meter Entfernung bei offenem Fenster gemessen.

■ 65 Dezibel laut tönt auch der Muezzinruf aus dem Minarett im schleswig-holsteinischen Rendsburg. Das Bauamt hat die Lärmimmissionen geprüft: Der Gebetsruf ist im Nachbarhaus noch mit knapp 40 Dezibel zu hören.

■ 60 Dezibel misst der heilige Urklang Om, wenn er von zehn Personen gleichzeitig gesungen wird. Gemessen mit „deciBel“ in einem Yoga-Studio in Berlin-Neukölln.

Julia Neumann & Philipp Rhensius hörten eine Woche lang auf religiöse Geräusche; sie spürten Anhängern und Geistlichen aller Weltreligionen nach

Meine erste Meditation war langweilig. Mein Körper konnte keine fünf Minuten stillhalten, es war unangenehm, beängstigend. Je mehr man versucht, nichts zu denken, desto mehr schießen die Gedanken durch den Kopf. Die Stille kann dröhnen.

Das war in Sri Lanka, vor über 20 Jahren. Seit 1994 bin ich Mönch, meditiere morgens eine Stunde und abends zwei. Gedanken machen, was sie wollen, sind immer aktiv. Deshalb muss man trainieren, sie zu kontrollieren. Ich mache das ohne Hilfsmittel wie einen Gong oder so. In meiner Tradition, der Theravada, nutzen wir keine Töne. Das ist ein Umweg, du bist nicht tief konzentriert, bist auf den Ton fixiert, nicht auf deinen Körper. Deswegen nutzen Anfänger Klangschalen oder die Silbe Om. Daran können sie denken. Ich konzentriere mich auf meinen Atem. Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen. Etwa zehn Minuten hafte ich dem Gedanken an. Dann lasse ich ihn gehen. Was dann kommt, ist tiefe Konzentration. Ruhe. Wahrhaftige Glückseligkeit. Es ist wie beim Autofahren. Ich fahre mit 200 km/h über die Autobahn. Um mich herum fliegt die Landschaft vorbei. Ich nehme wahr, dass etwas um mich herum passiert, aber ich weiß nicht, was. Ich schaue auch nicht zur Seite, denn dann gäbe es einen Unfall.

Bhante Samtharakkhitha, 32, lebt als Mönch im Buddhistischen Haus in Berlin-Frohnau

MUSLIME RUFEN
„Der Ruf wirkt beruhigend“

sonntaz: Herr Neß, Sie fordern, der Gebetsruf des Muezzin solle in vielen Gemeinden zur Pflicht werden. Warum?

Alexander Neß: Ich bin vor zwei Jahren zum Islam konvertiert und finde es sehr wichtig, dass der Muezzinruf in Deutschland an die fünf täglichen Gebete erinnert. Im Alltagsstress werden sie leicht vergessen.

Vor allem viele Nichtmuslime könnten das als störend empfinden.

Nein, das glaube ich nicht. In islamisch geprägten Ländern gibt es auch Kirchen, die mit Glockenläuten zur Messe rufen. Der Muezzinruf wirkt außerdem beruhigend auf uns Menschen.

Müsste man dann auch die Sabbat-Sirene flächendeckend einführen?

Momentan sehe ich keinen Handlungsbedarf. Es gibt in Deutschland nur einen geringen Anteil jüdischer Mitbürger. Würde sich das ändern, wäre ich dafür, die Sirene einzuführen.

Erst ab 50.000 Unterschriften beschäftigt sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit Petitionen. Ihre bekam 11.570. Sind Sie gescheitert?

Auf keinen Fall, denn mein Ziel waren mindestens 10.000 Unterschriften. Ich habe den Antrag jetzt im Ausschuss eingereicht. In meiner Gemeinde stehen viele hinter mir. Auch der Aachener Ortsverband von Milli Görüs hat mich unterstützt.

Alexander Neß, 33, wohnt in Hamburg. Er fordert in seiner Onlinepetition, der Ruf des Muezzin solle für alle Kommunen verpflichtend sein, in denen mindestens 500 Muslime wohnen

ATHEISTEN SINGEN
Superstition

Durch und durch abergläubisch:Schriften an den WändenBuchstaben, die zum Umfallen bestimmt sind …Ein dreizehn Monate altes Baby hat den Spiegel zerbrochen: Das bedeutet sieben Jahre Unglück, deine besten Zeiten liegen endgültig hinter dir!

Wenn du an irgendwelches Zeug glaubst,das dir unerklärlich erscheint, wirst du es büßen –Aberglauben ist keine Lösung!

Durch und durch abergläubisch:Wasch dir erst Gesicht und Hände!Befreie mich von meinem Problem,tu alles, was in deiner Macht steht!Lass mich in meinem Wolkenkuckucksheim,sorg dafür, dass ich gut drauf bin.Wenn du mir nicht helfen willst, wird meinLied traurig sein.(gekürzt)

■ „Superstition“ von Stevie Wonder ist eines der Lieder, welches Atheisten in Großbritannien bei „Sunday Assemblies“ singen. Das sind Messen für Nichtgläubige, Skeptiker und Agnostiker. Die haben in London und anderen Städten derzeit großen Zulauf

CHRISTEN LÄUTEN
Die Glocken des Teufels

„Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt, Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.“

Faust I, Vers 769

Glocken gaben dem Tag eine strenge Struktur und den Menschen zeitliche Orientierung. Als Informationsmittel wie Radio und Fernsehen nicht vorhanden waren, gliederte Glockengeläut den sozialen Tagesablauf, das individuelle Leben und die gesellschaftliche Kommunikation: Glocken riefen zum gemeinsamen Gebet, warnten vor Feuer, huldigten dem Frieden.

Das Glockengeläut führt Faust, der sich auf den Weg „zu neuen Ufern“ begeben wollte, zurück zu seinen irdischen Möglichkeiten: Er erinnert sich an seine Kindheit, in der Glocken ihm Glauben und Besinnung („Sabbatstille“) bedeuteten, aus denen er aufbrach zum Studium der irdischen Welt, „der Frühlingsfeier freies Glück“. Das Glockengeläut führt Faust in die alltägliche Ordnung zurück; sein Osterspaziergang ist wiederum ein Aufbruch, ein Weg aus der „Kirchen ehrwürdiger Enge“ – den Orten des Glockengeläuts – „ans Licht“.

An die Stelle des Glockengeläuts, das in der „quetschenden Enge“ ertönt, tritt nun der Jubel des Volkes in der freien Natur. Durch das Glockengeläut wird Faust an seine Bestimmung erinnert, irdischer Mensch und Wissenschaftler, nicht göttliches Wesen zu sein, und stellt sich ihr. Das verschafft Mephisto die Möglichkeit zu seinem Pakt.

Rüdiger Bernhardt hat den Osterspaziergang für uns interpretiert. Der Osterspaziergang gilt als der bekannteste Teil des Faust und Faust als das bedeutendste Werk deutscher Literatur. Bernhardt ist emeritierter Germanistik-Professor und Autor der „Königs-Erläuterung“ zu Goethes Tragödie