Die radikalen und ihre gemäßigten Brüder

MUSLIMBRÜDER Extremisten, Isolationisten oder doch eher Sozialarbeiter und gemäßigte Partner für die demokratische Zukunft Ägyptens?

Sie sagen, sie seien für gleiche Rechte für Männer, Frauen, Muslime und Christen

BERLIN/KAIRO taz | Seine Wahl vor einem Jahr galt als Niederlage für die jungen Reformer. Mohammed Badie, seither Chef der ägyptischen Muslimbrüder, genauer, deren „Murschid“ oder „Wegbereiter“, wird dem konservativen Flügel der ältesten Islamistenbewegung zugerechnet.

Mehr Sozialpolitik und Erziehungsarbeit, weniger Beteiligung an der Tagespolitik, so lautete damals seine Devise. Badie, seit 1996 im Politkomitee der Muslimbrüder, steht eher für eine Tradition der politischen Isolation. Ihren Vertretern geht es vor allem um den Erhalt der ideologischen Reinheit. Doch die Zeichen der Zeit stehen nicht auf politischer Enthaltsamkeit. Bereits im vergangenen Jahr entschied sich die Führung der Muslimbrüder, an der ersten Runde der Parlamentswahl teilzunehmen; die Stichwahl boykottierten sie. Die Wahlbeteiligung entspricht einer Linie der Partei, die darin besteht, vorhandene Spielräume auch wahrzunehmen. Und jetzt führt sie sogar Gespräche mit Vizepräsident Omar Suleiman.

Die jungen Vertreter des Reformflügels lehnen den Isolationismus ab, wollen die Organisation öffnen und sie in eine moderne politische Partei verwandeln. Einigen von ihnen ist die AKP des türkischen Regierungschefs Tayyip Erdogan ein Vorbild, andere treten für die Trennung von Staat und Religion ein oder sind aufgeschlossener für einem westlichen Lebensstil. Zusammen mit laizistischen Oppositionsgruppen traten sie im Herbst für einen Boykott der Wahlen ein. Während die Führung der Muslimbrüder erst drei Tage nach Beginn der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihre Anhänger zur Teilnahme aufrief, gingen viele von ihnen schon seit dem 25. Januar auf die Straße.

Die Muslimbrüder sind die größte und am besten organisierte Oppositionspartei in Ägypten. Da diese seit 1954 offiziell verboten ist, treten ihre Kandidaten bei Wahlen als Unabhängige an. Doch aufgrund der verbreiteten Fälschungen und mangels Meinungsumfragen weiß letztlich keiner, wie groß ihr Rückhalt in der Bevölkerung tatsächlich ist.

Die Muslimbrüder wurden 1928 gegründet. Sie errichteten ein Netz von eigenen Moscheen, Schulen und Sportvereinen und widmeten sich der Sozialarbeit. In ländlichen Gebieten stellen sie auch heute häufig noch die einzige Alternative zur Regierungspartei dar. In Ägypten leben nur 43 Prozent der Bevölkerung in den städtischen Zentren.

In den ersten Jahrzehnten ihrer Geschichte pendelte die Organisation zwischen gewalttätiger Opposition und Zusammenarbeit mit der Führung des Landes, zwischen Einsatz für einen islamischen Staat und Bekenntnissen zur Demokratie, hin und her. Vor allem in den vierziger Jahren verübte sie Anschläge, insbesondere den Mord an dem damaligen Regierungschef Mahmud Fahmi al-Nokratschi im Jahr 1948. Seither haben sie jedoch der Gewalt abgeschworen und erklärt, sie würden auch an dem Friedensvertrag mit Israel festhalten.

In einer Erklärung der Muslimbruderschaft (MB) vom vergangenen Freitag heißt es: „Die MB wird weiterhin für die verfassungsgemäßen Rechte von Männern, Frauen, Muslimen und Christen gleichermaßen und für einen zivilen Staat eintreten, der auf einer islamischen Demokratie basiert, die die Unabhängigkeit der Justiz, die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien respektiert.“

BEATE SEEL, KARIM EL-GAWHARY