HANNES KOCH ÜBER MERKELS EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK
: Deutschland muss Beitrag leisten

Wenn Europa sich Deutschland zum Vorbild nimmt, wird der Euro gerettet. So lautete die Botschaft, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Europäischen Rat nach Brüssel reiste. Ihr Programm einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftspolitik soll schwache Staaten wie Griechenland stärken, die Staatsverschuldung zu reduzieren, und Spekulationsangriffe auf den Euro unwahrscheinlicher machen.

Merkels Analyse sieht so aus: In manchen Staaten wie Griechenland und Italien gehen die Arbeitnehmer zu früh in Rente. Die dortigen Unternehmen und Rentenversicherungen tragen deshalb zu hohe Kosten, die die Verkaufspreise der hergestellten Waren erhöhen. Stiege dagegen das Rentenalter wie in Deutschland, sänken die Sozialkosten. Damit könnten auch die Preise griechischer und italienischer Produkte reduziert werden, wodurch Unternehmen und Staat mehr Geld vereinnahmten. Die Regierungen müssten weniger Kredite aufnehmen, weshalb das Vertrauen der Investoren in die europäische Währung und damit die Stabilität des Euro zunähme.

Bleibt die Frage, ob Merkels Strategie einer EU-Wirtschaftsregierung dazu beitragen kann, die Eurokrise einzudämmen. Einerseits entstünde zwar eine gemeinsame Wirtschaftspolitik – die Basis für das Überleben des Euro. Andererseits bliebe das ökonomische Gefälle innerhalb Europas bestehen, wenn sich nicht auch die deutsche Politik änderte. Während der vergangenen zehn Jahre stagnierten die Löhne in Deutschland, wodurch deutsche Produkte mittlerweile so kostengünstig sind, dass Unternehmen aus anderen Ländern wenig Chancen haben. Damit Griechen, Portugiesen und Italiener mehr verkaufen und weniger Schulden machen, müssten hierzulande also die Löhne stärker steigen. Deutschland kann nur Vorbild sein, wenn es nicht nur fordert, sondern auch gibt.

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