Gutes Klima in Europa bedroht

Beim Antrittsbesuch der EU-Kommissare in Berlin nennt Angela Merkel Energie und Klimaschutz als zentrale Aufgaben der deutschen Ratspräsidentschaft. Die EU-Vorschläge zur Trennung von Energieproduzenten und Netzen lehnt sie aber ab

AUS BERLIN NICK REIMER

„Wir sind heute sehr froh“, sagte Angela Merkel gestern in Berlin. Die Europäische Kommission war zum Antrittsbesuch ins Kanzleramt gereist. Europas neue Ratspräsidentin ist die Deutsche Bundeskanzlerin, und die nutzte gestern die Gelegenheit, den Kommissaren ihre Prioritätenliste vorzustellen. Neben dem Verfassungsprozess geht es der Deutschen hauptsächlich um Klimaschutz und Energie. Merkel bilanzierte: „Ich habe heute ein hohes Maß an Übereinstimmung festgestellt.“

Ab da aber dominierte das Wort „morgen“. Womit Angela Merkel heute meinte: In Brüssel stellt Energiekommissar Andris Piebalgs gemeinsam mit Umweltkommissar Stavros Dimas die Strategie zur künftigen Energieversorgung Europas vor. Nach dieser sollen erstens die Energiekonzerne die Herrschaft über die Gas- und Stromnetze verlieren. Zweitens sollen die national zentrierten Stromversorgungen aufgelöst und in einen europäischen Binnenmarkt überführt werden. Drittens soll es mehr Klimaschutz geben. Die Frage, was Merkel von den bereits bekannt gewordenen EU-Plänen hält, beantwortete die Kanzlerin so: „Die Kommission wird morgen eine sehr weise Entscheidung vorlegen.“

Das hatte zuvor noch ganz anders geklungen: Eine rechtliche Trennung von Stromerzeugung und Netzbetrieb sei nicht notwendig, hieß es aus dem Kanzleramt. Auch die Vorstellung Brüssels, Teile der nationalen Energieversorgung – etwa die Kompetenzen der Bundesnetzagentur – abzugeben, lehnt die deutsche Regierung ab. Drittens schließlich droht der Streit um Verschmutzungsrechte im Klimaschutz zu eskalieren.

Umweltkommissar Dimas hatte noch am Montag erklärt, „Deutschland wird seinen Verpflichtungen aus EU-Recht nachkommen“. Dimas meint 453 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr, die er der deutschen Industrie ab 2008 bis 2012 durchschnittlich zubilligen will. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) will sich aber 465 Millionen Tonnen genehmigen lassen. Beides groteske Zahlen: Die deutsche Industrie hatte schon vor Jahren in einer Selbstverpflichtung auf 451 Millionen Tonnen zugesagt.

Kurt Beck hat sich deshalb gestern als Industriefreund geoutet: Der SPD-Chef hat die Bundeskanzlerin in einem Brief aufgefordert, „hart zu bleiben“, und vor einem „folgenschwere Kompromiss“ gewarnt. Ob das im Sinn der WählerInnen ist? Schließlich müssen die VerbraucherInnen die Menge Klimagas zusätzlich einsparen, die Beck und Gabriel der Industrie erlassen wollen.

Aber zum Glück gibt es noch José Manuel Barroso. Der Präsident der EU-Kommission machte gestern klar, „dass die Zukunft nicht mit den Instrumenten der Vergangenheit“ zu meistern ist. Die Themen Energieversorgung und Klimaschutz seien sehr eng miteinander verbunden, er hoffe, „dass die Deutschen beides in Europa nach vorn bringen“.

Merkel berichtete deshalb gestern, auch ein Kioto-Anschluss-Regime auf ihrem Arbeitszettel zu haben, „das dann in der G 8, deren Vorsitz wir ja auch innehaben, mit den anderen Partnern besprochen werden kann“ – gemeint sind Japan, Russland, Kanada und die USA.

Die plötzliche Eile hat einen Grund: Ebenfalls heute wird in Brüssel die Klimastudie der EU-Kommission vorgelegt. Nach der wird sich das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle auch in Europa dramatisch verstärken. 100 Millionen sonnenhungrige Nordeuropäer verursachen jährlich den weltgrößten Touristenstrom – an die Mittelmeerstrände von Zypern bis Portugal. Hält der Klimawandel weiter so an, verschieben sich – so die Autoren – deren Reiseziel bis an die Nordsee.