Etikettenschwindel bei der Inklusion

SCHULE Angesichts der Zunahme von SchülerInnen mit attestiertem Förderbedarf will die Bildungsbehörde das Unterstützungssystem umbauen. Die Grünen befürchten nun Kürzungen

Laut Rabe segeln viele Kinder mit attestiertem Förderbedarf unter falscher Flagge

Immer mehr SchülerInnen erhalten in Hamburg sonderpädagogische Förderungsmaßnahmen – doch sind es immer die richtigen? Nein, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD) und verweist auf eine Studie der Hamburger Erziehungswissenschaftler Karl-Dieter Schuck und Wulf Rauer, die seine Behörde beauftragt hatte. Die Untersuchung bestätigt Rabes Verdacht: danach profitieren von Fördermaßnahmen, die für die Inklusion von früheren SonderschülerInnen in allgemeinbildende Schulen bereitgestellt sind, mehrheitlich Lernende, die immer schon in den Regelschulen beschult worden. Dort seien sie früher aber nicht als Kinder mit einem spezifischen Nachholbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache und emotionale Entwicklung (LSE) erkannt und entsprechend gefördert worden.

Schon ein Blick auf die Zahlen bestätigt Rabes Verdacht. Seit 2010 darf kein Kind mehr gegen den Willen seiner Eltern auf eine Sonderschule geschickt werden – und seitdem sank die Zahl der LSE-Kinder an diesen Schulen in Hamburg von gut 4.600 auf knapp 3.000. Folglich, so Rabe, hätte ihre Zahl an den allgemeinen Schulen um etwa diese 1.600 Kinder steigen müssen. Stattdessen aber stieg sie um über 5.300: von 329 auf 5.652. Das heißt laut Rabe, dass viele Kinder mit attestiertem Förderbedarf unter falscher Flagge segeln. Sie seien zwar förderbedürftig, doch das habe, so Rabe, „mit der Inklusion ehemaliger Sonderschüler wenig zu tun“.

Ein Grund für den Etikettenschwindel ist für Rabe, dass es bislang keine klaren Kriterien für die Diagnose eines sonderpädagogischen Förderbedarfs gegeben hat. An jeder Schule werde nach unterschiedlichen Maßstäben attestiert. Um das zu verändern, soll es in Zukunft ein vereinheitlichtes Diagnoseverfahren geben, in das auch die regionalen Bildungs- und Beratungszentren (REBBZ) einbezogen werden. Das Ziel: passgenaue Förderung für jedes einzelne Kind, das Unterstützung benötigt.

Für Stefanie von Berg von den Grünen kommen die einheitlichen Standards für die Förderdiagnose „viel zu spät“. Die Bürgerschaftsabgeordnete hofft, „dass die Standards nicht dazu dienen, die Anzahl der Kinder mit Förderbedarf künstlich zu verringern“.  MAC