nachruf
: Ein Leben für die Aussöhnung

Sie wollte nicht sterben. Sie wollte jung bleiben. Ihr Lebenselixier war das Schreiben. Als Danuta Zagrodzka, die große alte Dame des polnischen Journalismus, vor einem guten Jahrzehnt an Krebs erkrankte, stieg sie zur Ikone der Zunft auf. Denn sie schrieb weiter, schrieb gegen die Krankheit an – und hätte fast gesiegt. Noch Ende letzten Jahres diskutierte sie leidenschaftlich über das deutsch-polnische Verhältnis und interviewte den deutschen Wirtschaftswissenschaftler Meinhard Miegel zu den Zukunftschancen der EU. Mit einem „Leb wohl, Danka“ auf der Titelseite nahm Polens bedeutendste Tageszeitung, die Gazeta Wyborcza, am Donnerstag Abschied von ihrer berühmten Publizistin. Nun müssen Deutsche und Polen ohne diese kluge und warmherzige Ratgeberin auskommen.

Obwohl Danka, wie ihre Freunde sie nannten, lange in Warschau lebte, wurde sie in der Hauptstadt Polens nie heimisch. In jeder freien Minute zog es sie nach Gdynia/Gdingen an die Ostseeküste Polens. „Ich bin eben eine Pommerin!“, pflegte sie schelmisch zu lachen. Ihr Deutsch klang dabei perfekt und doch wie aus einer anderen Welt. Sie sprach mit fremdem, aber nicht polnischem Akzent.

1939 geboren, noch dazu in einer deutsch-polnischen Familie, durchlebte sie die Schrecken des Krieges, wurde mitsamt der Familie von den Deutschen aus Gdingen vertrieben, kehrte später zurück.

Im Nachkriegspolen wurde die deutsche Großmutter offen geächtet. „Solange die Welt besteht, wird der Deutsche dem Polen kein Bruder sein“, hieß ein damals gängiges Sprichwort in Polen. Dennoch sprach die kleine Danka mit der Großmutter deutsch. Vom Vater hingegen, einem polnischen Marinesoldaten, lernte sie, „das polnische Gdingen als Antwort auf das deutsche Danzig“ zu lieben.

Danuta Zagrodzka gehörte zu den wenigen Journalisten, die sich von Anfang für die deutsch-polnische Aussöhnung einsetzten. Als zu den ersten, nur halb freien Wahlen 1989 in Polen die „Wahlzeitung“ – auf Polnisch Gazeta Wyborcza – herauskam, war Danuta Zagrodzka schon dabei. Die erste provisorische Redaktion war in einer ehemaligen Kinderkrippe untergebracht. Bei gutem Wetter fanden die Redaktionssitzungen im Sandkasten statt.

1996–98 war sie Deutschlandkorrespondentin der Gazeta Wyborcza und prägte mit ihren einfühlsamen Reportagen das Deutschlandbild der Polen. Nach ihrer Rückkehr galt sie als außergewöhnlich kompetent in den deutsch-polnischen Beziehungen. Sie erhielt den Weimarer Preis, schließlich das Bundesverdienstkreuz. Und dabei wollte sie immer nur eines: schreiben. Und das heißt: leben.

GABRIELE LESSER