Demonstranten ab sofort zu mieten

Die Internet-Firma Erento hat ihr Sortiment erweitert: Seit ein paar Tagen bietet das Unternehmen 280 Demonstranten an – zum Verleih. Zielgruppe sind Verbände, die einen „Aufschrei des Protests“ brauchen. Staatsrechtler sieht Verfassung gefährdet

AUS BERLIN NICO POINTNER

Ein großer rothaariger Student mitteleuropäischer Erscheinung mit Schuhgröße 44 für eine Gewerkschaftskundgebung gesucht? Die Internetfirma Erento macht’s möglich. Das Unternehmen verleiht nicht nur Rasenmäher und Hüpfburgen, sondern seit einigen Tagen auch Demonstranten. Erento glaubt, damit eine Marktlücke entdeckt zu haben. Man habe dieses Angebot wegen der steigenden Nachfrage von Verbänden geschaffen, sagte ein Sprecher des Unternehmens gestern der taz.

Auf ihrer Homepage wirbt die Leihfirma deshalb nun mit hunderten „Protestierern auf Abruf“. Wer „einen Aufschrei des Protests“ organisieren wolle, wirbt die Firma in einem Werbetext, könne die „Widerständler“ einfach per Internet buchen. Sucht man auf der Homepage nach dem „Artikel“ Demonstrant, stehen 280 freundliche Gesichter zur Auswahl – Schüler, Studenten und Rentner, die ihre Finanzen mit künstlicher Meinungsbekundung aufbessern wollen.

Die Kandidaten verraten Augenfarbe, Kostümierung, Körbchengröße – für jeden Anlass ist was dabei. Die politische Couleur der Kundschaft spielt für Erento keine Rolle. Suche die NPD Demonstranten, müssten die gemieteten Protestierer entscheiden, ob sie mitmachten, sagt der Firmensprecher: „Die moralische Bewertung liegt nicht bei uns – wir sind nur das Vermittlungsportal.“ Welche und wie viele Organisationen bisher Protestler kauften, hält Erento unter Verschluss – „verständlicherweise“, sagt der Firmensprecher. Die Kunden wünschten Diskretion.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fühlte sich gestern genötigt klarzustellen, sie gehöre nicht zur Erento-Kundschaft. Aus gutem Grund: Der Verband musste vor Weihnachten einräumen, 170 Personen für eine Kundgebung gegen die Gesundheitsreform bei einem Hostessenservice angeheuert zu haben. Für 30 Euro protestierten die Aushilfskräfte vor dem Reichstag. Die KBV streitet jedoch ab, dass es sich bei der Veranstaltung um eine Demonstration gehandelt habe – die Aktion sei Teil einer PR-Kampagne gewesen.

Der Staatsrechtler Christoph Degenhart von der Uni Leipzig sieht in der Verleihpraxis von Erento einen Missbrauch des Demonstrationsrechts und fordert eine Ergänzung des Grundgesetzes. „Das ist an der Grenze zur Sittenwidrigkeit“, so Degenhart gegenüber dem Bielefelder Westfalen-Blatt. Die anheuernden Verbände müssten zur Bekanntgabe gezwungen werden, meint der Jurist: „Die öffentliche Meinungsäußerung darf nicht zu einer Frage des Geldes werden.“

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