Hinter den Medien die Kunst wiederfinden

CLUB TRANSMEDIALE Sehr ambitioniert: Die Ausstellung „Alles, was Sie über Chemie wissen müssen“ im Kunstquartier Bethanien will einen neuen Dialog zwischen Medienkunstfamilie und Kunstbetrieb inszenieren. Dabei driftet alles auseinander

Wer das Anliegen ernst nimmt, muss die Medienkunstbrille erst einmal absetzen

Am Anfang ist da ein Mond und am Ende Wolfsgeheul. Aber da das hier nicht der dichte deutsche Wald ist, sondern ein Ausstellungsraum, ist der Mond natürlich Fake und das Wolfsgeheul eigentlich Noise-Musik.

Wie simpel dieser erstaunlich perfekte Mond im Kunstquartier Bethanien, in dem gerade die Club-Transmediale-Ausstellung „Alles, was Sie über Chemie wissen müssen“ gezeigt wird, gemacht ist, wird einem auch gleich vorgeführt: Er wird von einem Overheadprojektor an die Wand geworfen, auf dem ein vernebeltes Wasserbassin steht, in dem sich wiederum ein Plastikbecher befindet, dessen runder Boden sich, ja genau, in der Projektion zum Mond verwandelt, mit allem drum und dran und Kratern und Wolkenschwaden davor. Eine klassisches, romantisch verklärtes und verklärendes Motiv also, hinter dem Sharon Houkema mit ein bisschen zu dick aufgetragenem Aha-Effekt eine rudimentär-technologische Bildermaschine präsentiert. Wer schon immer wissen wollte, wie man einen Mond macht, der weiß es jetzt.

Als ähnlich gelagerte experimental-aufklärerische Bastelstunde funktioniert auch die Noise-Musik, die Martin Howse und Martin Kuentz am Eröffnungsabend mittels Kontaktmikrofonen diversen Stoffen, Pülverchen und Dingen entlockt haben. Auch hier: Wissenwollen, Rückführung, Nachvollzug, Enttarnung. Und auch hier: Die Musik war toll, nur hat ihr diese Art der Vorführung dann doch ein wenig Radikalität genommen.

Mond und Noise passen gut zu dem, was landläufig als „Medienkunst“ bezeichnet wird und was man auf einer Ausstellung im Rahmen des Club Transmediale, dem „Festival for Adventurous Music and related Visual Arts“ erwartet: eine leicht verschrobene, latent technikbesessene, am Ende recht abgeschlossene Subsparte kultureller Produktion irgendwo zwischen DIY-Robotik, 8-Bit-Fetisch, Interface-Design und Medien- oder Kommunikationstheorie. Verknappt: eine Kunst, der es weniger um die Kunst geht als um die Medien, mit denen sie gemacht ist.

In der Gesamtheit dieser Ausstellung, die Hicham Khalidi und Suzanne Wallinga von TAG aus dem niederländischen Den Haag hier zusammenkuratiert haben, wird aber auch schnell klar, dass es gerade darum nicht mehr gehen soll. Im Gegenteil: Die engen Grenzen der Medienkunst sollen überschritten, zumindest aber befragt werden. Kurz: Hinter den Medien soll die Kunst wiedergefunden werden.

Und dazu geht die Schau erst einmal auf die basalsten Parameter zurück. Man arbeitet sich an allgemeinen Themen von Körperlichkeit, Objektbezug, Formgebung, Wahrnehmung und Projektion ab. Man setzt einen Schwerpunkt auf „Zeichnung“, das rudimentärste und ursprünglichste Genre bildender Kunst. Und man integriert klassische und längst vom Mainstreamkunstbetrieb kanonisierte Videokunst, von Bruce Nauman und Frank Owen etwa, von Joan Jonas und Dennis Oppenheim, der seinen Sohn auf seinen Rücken zeichnen lässt, während er selbst auf die Wand zeichnet.

Im Großen und Ganzen muss man diese Spartenöffnung nach Zeiten der immer größeren Separierung zwischen der Medienkunstfamilie und dem herkömmlichen Kunstbetrieb natürlich begrüßen. Beim Blick auf die konkrete Ausstellung und die Kombination ihrer Arbeiten muss man allerdings auch sagen, dass sie über die Artikulation eines Dialogwillens nicht hinauskommt. Zu sehr driftet hier alles auseinander, zu willkürlich ist die Zusammenstellung, zu global sind die Themen. Nimmt man das Anliegen ernst und die Medienkunstbrille demnach ab, so sieht man am Ende vor allem eins: eine Ausstellung, die zwischen allen Stühlen ihre Form nicht findet. DOMINIKUS MÜLLER

■ „Alles, was Sie über Chemie wissen müssen“. Kunstquartier Bethanien, bis 6. 2., tgl. 14–21 Uhr