Drei Piekser für die Ewigkeit

VON COSIMA SCHMITT

Drei Spritzen bewahren vor Schmerzen und Tod. Die Fachwelt preist sie als „Meilensteine“, als „nobelpreisverdächtig“, als Ereignis, das der Mondlandung gleichkommt: Erstmals können sich Frauen gegen eine Krebsart immunisieren lassen. Ein neuer Impfstoff schützt sie vor Tumoren am Gebärmutterhals. Seit kurzem ist das Mittel auch in Deutschland zugelassen, in den Frauenarztpraxen liegen Broschüren aus. Sie finden regen Absatz: „Sehr viele Frauen fragen nach der neuen Impfung“, sagt Ute Kling-Mondon, Frauenärztin in Berlin-Kreuzberg. „Ein so großes Interesse hätte ich gar nicht erwartet. Meist erkundigen sich Mütter, die ihre Töchter vor dieser Krankheit bewahren wollen.“

Die Impfung schützt Frauen davor, sich mit humanen Papillomviren (HPV) anzustecken. Die werden beim Sex übertragen, sieben von zehn Frauen infizieren sich Schätzungen zufolge irgendwann in ihrem Leben damit. Meist besiegt das Immunsystem die Erreger, bei einigen Frauen aber entsteht über Vorläuferstadien ein bösartiger Tumor. „Der neue Impfstoff verhindert nicht nur Krebs. Er erspart auch tausenden Frauen, die verdächtige Befunde haben, eine Zeit der Angst“, sagt Lutz Gissmann. Der Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat den Impfstoff mitentwickelt.

Idealerweise werden Mädchen schon vor dem ersten Sex geimpft. Sie erhalten innerhalb von sechs Monaten drei Injektionen. Seit dem ersten Januar übernehmen vier gesetzliche Krankenkassen die Kosten von 465 Euro – wenn auch nur für Minderjährige. Dieses Zusatzangebot für junge Frauen bringt den Kassen Imagegewinne, es könnte sich aber auch finanziell rentieren. Denn dann entfällt ein Großteil der Ausgaben für die Fälle, in denen der Krebs oder mögliche Vorstufen behandelt werden. Auch auf diesem Hintergrund prüft derzeit die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut, ob sie nicht eine Impfempfehlung aussprechen soll – und ob diese dann nur für Minderjährige oder für alle Frauen gelten soll. Eine Entscheidung wird in den nächsten Monaten erwartet. Votiert die Kommission für die Impfung, werden – so ist es üblich – künftig wohl alle Kassen die Leistung bezahlen.

Die Unterstützung der Fachwelt wäre ihnen dabei sicher. „Die Impfung muss eine Kassenleistung werden“, fordert etwa Walter Jonat, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Auch Frauenärztin Kling-Mondon beobachtet, dass das Interesse an der Impfung groß ist, der hohe Preis aber abschreckt. „Viele der Frauen, die sich nach der Impfung erkundigen, sind Studentinnen oder Azubis. Die wenigsten von ihnen können mal eben so fast 500 Euro aufbringen“.

Dass die Impfung derzeit vor allem als Mittel für Teenager diskutiert wird, liegt auch am noch unzureichenden Wissen: Wie wirksam die Impfung schützt, haben Forscher umfassend bisher erst an jungen Frauen untersucht. „Aber auch Frauen jenseits der Zwanzig können sich bedenklos impfen lassen“, sagt Lutz Gissmann. Auch für manche Mittdreißigerin mit wechselnden Partnern rentiert sich die 465-Euro-Investition. Zwar kuriert der Impfstoff keine bestehende Infektion, er schützt aber vor Neuansteckungen. Auch wenn eine Frau schon einmal eine Infektion gehabt und sie überwunden hat, kann sich die Spritze lohnen – damit der Körper eine neuerliche Vireninvasion übersteht.

Folgeschäden müssen die Frauen dabei kaum fürchten. Bislang konnten die Ärzte keinerlei unerwünschten Nebenwirkungen feststellen. „Der Impfstoff hat sich als ausnahmslos sicher und bis zu 100 Prozent effektiv gezeigt. Die Wirksamkeit hat sich inzwischen über fünf Jahre bestätigt, und wir können von einer lange anhaltenden Schutzwirkung ausgehen“, sagt Achim Schneider. Der Leiter der Klinik für Gynäkologie der Berliner Charité verweist auf aussagekräftige klinische Studien mit über 30.000 Teilnehmerinnen.

Kein Wunder also, dass Wissenschaftler und Ärzte geradezu euphorisch die Einsatzmöglichkeiten des neuen Impfstoffs diskutieren. Gissmann etwa verweist auf die Vorteile, die es brächte, auch Jungen zu impfen. Diese würden zwar nicht selbst davon profitieren, sie würden aber ihre künftigen Partnerinnen schützen – und so zur Eindämmung der Krankheit beitragen. „Je geringer die Impfrate bei Mädchen, umso sinnvoller ist der Einschluss von Jungen“, meint auch Schneider.

Ein Problem indes bleibt: Die Deutschen sind Impfmuffel. Selbst bei Allerweltskrankheiten wie den Masern scheuen sie die präventive Spritze. „Katastrophal schlecht“ nennt Gissmann die Impfbereitschaft der Deutschen. Dass sich dies ausgerechnet beim Gebärmutterhalskrebs ändert, ist unwahrscheinlich.

In Deutschland existieren auch keine Druckmechanismen, die die Impfquoten erhöhen könnten. In den USA ist das anders. In einigen Bundesstaaten dürfen Eltern ihre Kinder nur dann zur Highschool anmelden, wenn diese bestimmte Impfungen vorweisen können. Die Vorsorge via Spritze oder Schluckpräparat ist selbstverständlich. Der Bundesstaat Michigan hat gar ein Gesetz erlassen, dem zufolge alle Sechstklässlerinnen gegen HPV immunisiert werden. Auf diesem Hintergrund wird verständlich, warum in den USA bereits eine Million Dosen des Impfstoffs gegen Gebärmutterhalskrebs verkauft sind – eine enorme Zahl für einen erst im Juni eingeführten Wirkstoff.

Deutschland indes schützt seine Frauen schlechter als andere europäische Länder vor Gebärmutterhalskrebs. Zwar ist die Zahl der Erkrankungen gesunken, weil seit Anfang der Siebzigerjahre die Kassen die mikroskopische Untersuchung eines Zellabstrichs bezahlen. Dieser „Pap-Test“ wird einmal jährlich routinemäßig durchgeführt. Eigentlich sollte daher der Krebs nahezu verschwunden sein. Behandelt der Arzt bereits die Vorstufen, sind die Heilungsaussichten bestens. Dennoch, nach wie vor erkranken nach Angaben des Robert-Koch-Instituts jährlich rund 6.500 Frauen an Gebärmutterhalskrebs – und 1.700 sterben. „Diese Werte sind für ein weit entwickeltes Land wie Deutschland völlig inakzeptabel“, sagt Gissmann. Finnland etwa steht weit besser da.

Ein Grund dafür, dass in Deutschland so viele Menschen einen eigentlich vermeidbaren Tod sterben, ist die mangelhafte Vorsorge. Zum Arzt zu gehen, obwohl man sich gar nicht krank fühlt, ist nicht sehr beliebt. Laut Gissmann mangelt es hierzulande aber auch an der Qualitätskontrolle: Längst nicht jeder Zyptologe, der die den Frauen entnommenen Proben analysiert, ist optimal qualifiziert. Zu oft werden Vorstufen der Erkrankung übersehen. „Wir würden viele Menschenleben retten, wenn nur große Labore die Proben untersuchen würden“, sagt Gissmann.

Die Frage, wie sich die Qualität der Tests verbessern lässt, wird die Forscher auch künftig beschäftigen. Denn auf ein Screening können die Ärzte auch bei geimpften Frauen nicht verzichten. Der Impfstoff ist zwar hochwirksam, schützt aber lediglich vor den zwei häufigsten Viren. So verhindert er 70 bis 80 Prozent der Krebsfälle. Um die übrigen möglichst schon in den Vorstufen aufzuspüren, braucht es nach wie vor das Mikroskop.

Doch selbst dann gibt es neue Hoffnung. Gebärmutterhalskrebs lässt sich künftig nicht nur eher vermeiden, er lässt sich auch besser behandeln. Unlängst verkündete die Berliner Charité das glückliche Ende eines gewagten Versuchs: Bis dato galt es als nahezu unvermeidbar, einer an Krebs erkrankten Frau die Gebärmutter zu entfernen. Die Charité-Ärzte aber entnahmen 108 Patientinnen lediglich Teile des Gebärmutterhalses, Teile des Halteapparates der Gebärmutter und die Beckenlymphknoten. Das Verfahren erwies sich als genauso wirksam wie eine Totaloperation, es birgt aber einen entscheidenden Vorteil: Die Frauen können danach noch Kinder austragen, von denen sie dann per Kaiserschnitt entbunden werden – eine wichtige Neuerung bei der Behandlung einer Krebsart, die vor allem Frauen zwischen 30 und 40 Jahren trifft.

Ein Rundum-Erfolg sind die medizinischen Innovationen dennoch nicht. So begeistert die Fachwelt derzeit ihren Durchbruch feiert – das Gros der gefährdeten Frauen wird die neuen Impfstoffe niemals erhalten. Denn von den Fortschritten profitieren gerade die Länder, die ohnehin relativ gut gegen den Krebs gerüstet sind. Schon jetzt sterben in den Industrieländern nur etwa 17.000 Frauen pro Jahr an Gebärmutterhalskrebs. Dem stehen 218.000 Todesfälle in eher armen Ländern etwa in Afrika gegenüber. Diese Streuung ist kein Zufall. In Deutschland ist Gebärmutterhalskrebs auch deshalb selten, weil Ärzte bei rund 25.000 Frauen pro Jahr bereits die hochgefährlichen Vorstufen behandeln. In Ländern ohne regelmäßige gynäkologische Vorsorge gelingt dies nicht. „Gebärmutterhalskrebs ist tückisch: Tauchen die ersten Beschwerden auf, lässt sich die Frau kaum mehr retten“, sagt Gissmann. Rasch wuchert das Karzinom in Blase und Darm, meist stirbt die Patientin innerhalb weniger Monate.

Umso energischer fordern Experten, Wege zu finden, die auch armen Menschen eine Impfung zugänglich machen. „Wir Wissenschaftler müssen den Impfstoff so sehr vereinfachen, dass er billig zu produzieren ist“, sagt Gissmann. Fieberhaft arbeiten er und seine Kollegen an Auswegen aus der Hochpreisfalle. Sie versuchen den Impfstoff so abzuwandeln, dass er ohne Kühlung transportiert werden kann und dass eine einzige Dosis zur Immunisierung ausreicht. Sehr optimistisch ist er aber nicht, dass sich bald Arme den Schutz aus der Spritze leisten können. „Das Dilemma ist bekannt: Für die Pharmaindustrie lohnt es sich nicht, ein Mittel auf den Markt zu bringen, an dem sie kaum etwas verdienen kann.“ Die Impfung gegen Krebs – sie wird wohl noch viele Jahre lang eine Luxusspritze bleiben.