Zwischen Staunen und Entsetzen

PALÄSTINA-PAPIERE Die Enthüllungen des Senders al-Dschasira stoßen bei palästinensischen Studenten auf Unglauben, aber auch auf Empörung. Noch mehr Land will keiner abtreten

■  Der Plan, nach dem die Palästinensische Autonomiebehörde gegen die Hamas im Westjordanland vorgegangen ist, wurde vom britischen Geheimdienst MI6 entworfen. Dies geht aus den Enthüllungen hervor, die al-Dschasira und der Guardian gestern veröffentlichten. Der Plan, der schon im Jahre 2003 entworfen und Anfang 2004 an den damaligen palästinensischen Sicherheitschef Dschibril Radschoub übergeben wurde, sah demnach vor, Führer und Aktivisten der Hamas und anderer Gruppen hinter Gitter zu bringen, ihre Radiosender zu schließen und Imame an den Moscheen auszutauschen. Zu diesem Zweck wurde der palästinensische Polizeiapparat von den USA und der EU finanziert und ausgebildet. In wesentlichen Grundzügen wird dieser Plan bis heute umgesetzt, um ein Erstarken der islamischen Hamas zu unterbinden. Israelische Geheimdienstchefs haben die gute Ausbildung und Zusammenarbeit mit den palästinensischen Sicherheitskräften wiederholt gelobt. (gb)

AUS ABU DIS SUSANNE KNAUL

Auf dem Campus der Al-Kuds-Universität in Abu Dis sind die Enthüllungen über die Friedensverhandlungen einen Tag, nachdem al-Dschasira damit an die Öffentlichkeit ging, Gesprächsthema. „Das ist doch alles erfunden“, meint der 24-jährige Rabbiya Awad. „Hoffentlich glaubt keiner die Lügenmärchen, die sie über Abu Masen und die Fatah erzählen.“ Awads Freunde stimmen nickend zu. Dass Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bereit war, fast alle Siedlungen in Jerusalem den Israelis zu überlassen, könne nicht wahr sein.

Die moderne Universität mit ihren hübschen Grünanlagen und Springbrunnen liegt auf einem Hügel bei Jerusalem. Noch vor wenigen Jahren konnte man von hier aus den Tempelberg sehen. Jetzt ist der Blick nach Norden von der neun Meter hohen Mauer versperrt, die sich mitten durch den Ort zieht. Auf der anderen Seite der Sperranlagen liegt die Siedlung HaGiva HaZerfatit, die, laut Verhandlungsprotokoll, Palästinenserpräsident Abbas den Israelis anbot.

„Wir sind für Abu Masen“, sagt Awad, „und wir sind für den Frieden.“ Beides müsse möglich sein, ohne dass die Palästinenser auf Land verzichteten. Der angehende Elektroingenieur, der eben seine letzten Prüfungen abgelegt hat, stammt aus Nablus. „Wenn sich rausstellt, dass die Protokolle echt sind, werde ich Palästina verlassen“, sagt er, worauf ihn ein Freund anstößt und sagt: „Du spinnst.“ „Doch“, bleibt Awad hartnäckig, „und ich werde alle meine Erinnerungen an Palästina auslöschen.“

Die Studenten, die nicht an die Echtheit der Protokolle glauben, sind deutlich in der Minderheit. Den 23-jährigen Mohammed trafen die Veröffentlichungen „wie ein Schock“. Niemand habe das Recht, auf palästinensisches Land zu verzichten“, sagt er. Für seinen Freund Steve Nijim sind die Siedlungen nicht so wichtig wie das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge. Die Familie des 22-jährigen Arabischstudenten stammt aus Lod, nicht weit vom heutigen Flughafen Ben-Gurion.

Die Zahl der im Exil lebenden Flüchtlinge wird heute auf 5 Millionen geschätzt. Die PLO-Delegation hatte sich mit der Rückführung von 10.000 Flüchtlingen jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren zufriedengegeben. Laut Abbas sei es nämlich „unlogisch“ zu erwarten, dass Israel alle 5 Millionen zurücknimmt, denn das würde „das Ende Israels bedeuten“.

„Wenn sich rausstellt, dass die Protokolle echt sind, werde ich Palästina verlassen“

RABBIYA AWAD, STUDENT DER AL-KUDS-UNIVERSITÄT IN ABU DIS

Sein ganzes Leben lang träumte Steve Nijim davon, eines Tages auf die Ländereien seiner Großeltern zurückzukehren. „Das ist mein Land“, sagt er und fühlt sich von Abbas „verraten“. „Abu Masen ist eine Marionette des Westens“, sagt der Student und räumt ein, dass Abbas kaum Spielraum hat. „Er tut, was die USA und Israel ihm vorschreiben.“

Dass die Israelis auf die palästinensischen Kompromissvorschläge letztlich nicht eingegangen sind, lasse darauf schließen, dass sie „erst zufrieden sind, wenn wir alle unsere Koffer packen und von hier weggehen“, meint der Jurastudent Qais Omran. Er glaubt nicht, dass politische Zwecke hinter den Veröffentlichungen stehen. „Das war Mohammed Dahlan“, sagt einer der Umstehenden. Der ehemalige Sicherheitschef der Fatah im Gazastreifen muss sich derzeit einer Untersuchung stellen, weil er verdächtigt wird, einen Putsch gegen Abbas geplant zu haben. „Es gäbe hunderte andere, die mindestens so gute Gründe hätten wie Dahlan“, sagt Omran.

Dass der katarische TV-Sender al-Dschasira, der der Hamas nahestehe, die Protokolle veröffentlicht habe, könne durchaus politisch motiviert sein, meint Omran. Er findet es dennoch gut, auf diese Weise Einsicht in die Verhandlungen zu bekommen. „Schließlich geht es um unsere Zukunft und um unser Land.“