Weißkittel ackern in Grauzone

Die EU-Richtlinie zu den Arbeitszeiten in den Kliniken müsste ab sofort umgesetzt werden. Aber ein Drittel der Krankenhäuser hält sich nicht dran. Es fehlt an Personal

„Die optimale Lösung ist in den Krankenhäusern nicht herzustellen“

BERLIN taz ■ Uhus sind nachts aktiv, Ärzte häufig rund um die Uhr. Das Arbeitszeitprojekt des Berliner Charité-Klinikums namens „Uhu“ will das ändern. Die Projektgruppe setzt die EU-Vorgaben zur Arbeitszeit für Ärzte um – so wie dies eigentlich alle deutschen Kliniken spätestens ab dem Jahr 2007 tun müssen. In der Charité sind die Verantwortlichen zufrieden: „Jetzt ist grundsätzlich ein pünktlicher Feierabend gewährleistet“, sagt Projektleiterin Kerstin Noffke.

Die neuen Regelungen sollen den leidigen Marathonschichten der Mediziner ein Ende bereiten: Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die bereits aus dem Jahr 2003 datiert, gilt der ärztliche Bereitschaftsdienst, der bisher als Ruhezeit bezeichnet wurde, künftig als normale Arbeitszeit.

Die werktägliche Arbeitszeit einschließlich Bereitschaftsdienst und Ruhepausen kann künftig auf Basis tarifvertraglicher Regelungen bis zu 24 Stunden betragen. Wird die tägliche Arbeitszeit über 12 Stunden hinaus verlängert, hat der Beschäftigte im Anschluss an die Arbeit, spätestens aber nach 24 Stunden, Anspruch auf eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit darf 48 Stunden innerhalb eines mehrmonatigen Zeitraums nicht übersteigen, außer wenn ein Tarifvertrag dies zulässt. Für Arbeitsbereitschaften und Bereitschaftsdienste – etwa für Krankenhausärzte – endet jetzt die Übergangsregelung.

Doch rund ein Drittel aller deutschen Kliniken kommt der EU-Richtlinie auch nach einer dreijährigen Gnadenfrist nicht nach. „Die Zeit ist abgelaufen und die Fronten sind verhärtet“, sagt ein Arzt vom Jüdischen Krankenhaus Berlin, „und ab Januar arbeiten wir in einer rechtlichen Grauzone.“

Für eine vollständige Umsetzung der EU-Vorgaben fehlt jedoch schlichtweg Personal. „Wir brauchen rund 8.000 Mediziner“, sagt Andreas Priefler, der Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Auch wenn die Krankenhäuser neue Ärzte finanzieren könnten, es mangelt an Fachkräften. „Kein Tarifvertrag kann den dramatischen Ärztemangel regeln“, sagt Athanasios Drougias, Sprecher des Marburger Bunds.

Einer Erhebung der Ärztegewerkschaft zufolge würden die meisten Ärzte die EU-Richtlinie jedoch begrüßen. „Das neue Gesetz schützt vor Übermüdung“, sagt Drougias. Doch nicht alle Mediziner sind davon begeistert. „Der Bereitschaftsdienst ist zwar hart und anstrengend“, sagt Andreas Priefler, „aber ein höheres Einkommen ist vielen wichtiger als geregelte Arbeitszeiten.“

Trotz organisationeller und finanzieller Probleme wird in den meisten Kliniken aber schon in neuen, flexiblen Schichtmodellen gearbeitet: Die reguläre Arbeitszeit wurde meist bis in den Abend hinein ausgeweitet, um den Bereitschaftsdienst zu entlasten. Durch so genannte Opt-out-Regeln dürfen die Ärzte auch 48 Stunden durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit überschreiten, wenn sie möchten. In der Charité wurde der Bereitschaftsdienst beispielsweise auf den Abend verschoben, die Ärzte dürfen hier auf freiwilliger Basis bis zu 60 Stunden wöchentlich arbeiten – aber eben nur, wenn die Arbeitszeit Bereitschaftsdienste mit entsprechenden Entlastungsphasen beinhaltet. „Wir haben jetzt versetzte Dienste und eine flexiblere Organisation“, sagt Projektkoordinatorin Kerstin Noffke.

Die Patienten stehen grundsätzlich hinter den neuen EU-Arbeitszeiten. „Kein Mensch will von einem übermüdeten und unkonzentrierten Arzt behandelt werden“, sagt die Berliner Patientenbeauftragte Karin Stötzner. Allerdings leide unter den häufigeren Schichtwechseln die Kontinuität der Betreuung. „Aber die optimale Lösung für den Patienten ist im finanziellen Rahmen der Krankenhäuser nicht herzustellen“, so Stötzner.

Andreas Priefler von der DKG erwartet eine schrittweise Umsetzung bei den übrigen Kliniken. Das Tarifrecht müsse allerdings noch flexibler reagieren.

NICO POINTNER