SÜDAFRIKA: EINE ECHT AFRIKANISCHE LEKTION IN „UBUNTU“ ÜBERNEHMEN
: Es wieder mehr menscheln lassen

„Kommste auch? Wir machen ein bisschen Ubuntu!“ Eine solche Einladung zu einer Weihnachtsfeier mag in westlichen Ohren komisch klingen. Doch keine Angst, sie hat nichts mit unverdaulichem Essen zu tun. Einheimische Kollegen umschreiben mit „Ubuntu“ nur scherzhaft, dass keiner auf die gemeinsamen Drinks verzichten muss – das macht warm ums Herz, so kurz vor dem Jahreswechsel.

In der Zeit des Wandels fand die beliebte Vokabel ihren Eingang ins politische Lexikon des Post-Apartheid-Staats. Und auch zwölf Jahre später noch wird gerne auf das Pro-Verb der im südlichen Afrika gesprochenen Bantu-Sprachen „Ich bin, weil du bist“ zurückgegriffen. „Ubuntu“, so lautet die traditionelle afrikanische Weltanschauung, die sich auf das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen und ihrer gegenseitigen Hilfe beruft.

In westliche Sprachen will sich der an Ubuntu angelehnte Zulu-Ausdruck „Umuntu ngumuntu ngabantu“ – ein Mensch ist nur ein Mensch durch seine Beziehung zu anderen Menschen – aber nicht so recht einfügen lassen. Und in einer von Individualismus und hartem Wettbewerb geprägten Gesellschaft verliert er an Bedeutung. So wird der eigentliche Sinn von „Ubuntu“ vor allem in Südafrikas hartem Alltag auf die Probe gestellt.

Durch die „Ubuntu“-Beschwörung wird versucht, es wieder ein wenig menscheln zu lassen:

Die „Ubuntu-Universität“ in Johannesburg (Community and Individual Development Association) etwa wirkt Perspektivlosigkeit und Entfremdung entgegen: Sie ist ein international ausgezeichnetes Modell für Tausende von Studenten, die keine Arbeit finden. Sie wollen Gelerntes über Wirtschaft und Gesellschaft sowie Besinnung auf Werte an die benachteiligten Gemeinden, aus denen sie stammen, zurückgeben. Sie erhalten fast umsonst Zugang zur Uni, die durch private Partner gestützt wird, und verwalten den Betrieb selbst.

Trotzdem wird das spirituelle Konzept im modernen Südafrika mit immer mehr Ironie betrachtet. Während „Ubuntu“ inzwischen auch im Westen gepredigt wird, scheint mancher einst glühende Anhänger dessen Philosophie vergessen zu haben: Stattdessen blühen Korruption und Eigennutz.

Also, liebe Frau Merkel: Wie wär’s mit ein bisschen Ubuntu, um die Lage am Kap und im Rest der Welt zu verbessern? Nicht nur Spenden für die „Ubuntu“-Fonds, auch Vorträge an der „Ubuntu“-Universität kämen hier in Frage. Auf der anderen Seite wäre eine afrikanische Lektion in „Ubuntu“ eine echte Bereicherung – und der Export von Ubuntu-Unis nach Deutschland als Wahlkampfschlager zu empfehlen.MARTINA SCHWIKOWSKI, JOHANNESBURG