Dank Karbon über sich hinausgewachsen

PARALYMPISCHER SPORT Oscar Pistorius kann der Diskussion um seine Prothesen nicht davonlaufen

BERLIN taz | Am Montagmorgen sprintete Oscar Pistorius die 200 Meter in 21,80 Sekunden. Von Usain Bolts Weltrekord (19,19) ist er damit weit entfernt. Das Besondere ist: Pistorius läuft auf zwei Karbonprothesen. Bei der Leichtathletik-WM des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), die derzeit in Christchurch (Neuseeland) stattfindet, ist er der Star. Über 200 Meter sicherte sich der schnellste Mann auf keinen Beinen bereits Gold, die 100 und 400 Meter wird er vermutlich auch gewinnen.

Auf 400 Meter lief er 2008 so schnell, dass er sich für die Olympischen Spiele in Peking qualifizierte. Er durfte aber nicht starten. Das Olympische Komitee fürchtet „Technodoping“. Seine J-förmigen Karbonprothesen gäben ihm einen Vorteil gegenüber Athleten ohne Behinderung, so die Begründung. Davon kann jedoch keine Rede sein, so Peter Weyand, Physiologe und Biomechaniker an der Southern Methodist University in Dallas. „Der natürliche Fuß stößt sich beim Laufen mit den Muskeln um das Sprunggelenk aktiv ab und generiert so zusätzlich Kraft“, sagt Weyand, „das kann die beste Rennprothese nicht.“ Der internationale Sportgerichtshof (Cas) akzeptierte Weyands Begründung und hob das Startverbot für den Südafrikaner auf.

Technodoping ist aber trotzdem kein Mythos. Sportprothesen sind heute Hightechprodukte. Etwa 1,8 Kilo wiegen die „Chetahs“, auf denen Pistorius läuft. Ein paar dieser elastischen und mit Spikes versehenen Füße aus Karbon kostet etwa 25.000 Euro. Den hohen Preis wird dem 24-Jährigen niemand vorwerfen. Etwas anderes schon. Nachdem Pistorius 2004 in Athen über die 200 Meter beinahe aus dem Nichts an die paralympische Spitze sprintete, kam der Verdacht auf, er habe bei seiner Größe geschummelt. Als der dritt-platzierte Brian Frasure ihm nach seinem Sieg gratulieren wollte, blickte dieser auf einmal zu Pistorius auf. Das sei vorher nicht so gewesen.

Frasure ist nur an einem Bein amputiert, bei ihm richtet sich die Prothesenlänge nach seinem gesunden Bein. Pistorius hingegen hat von Geburt an keine Unterschenkel und muss seine Prothesenlänge von einem Orthopädietechniker schätzen lassen. Eine Grenze für die Länge dieser Prothesen gibt es nicht. Außerdem: „Niemand geht vor dem Start der Rennen los und misst nach“, sagt der Leiter der technischen Kontrolle der IPC, Ben Vroom. Das würde nicht dem olympischen Ideal entsprechen.

Bei Rollstuhlrennen werden die Regeln strenger gehandhabt: Die Stühle müssen zwei große, zwei kleine Räder haben, die Größe ist klar definiert und sie dürfen die Rennstrecke nicht mehr verlassen, nachdem sie geprüft wurden. Dreizehn Paragrafen legen das Aussehen der Rollstühle fest. Für Beinprothesen sind die Regeln simpler: „Hüpfen ist nicht erlaubt“ heißt es im Regelwerk der IPC. Es dürfen also keine Sprungfedern getragen werden. Das lässt viel Raum für Prothesen und ihre Länge.

Und auch bei den Olympischen Spielen der Nichtbehinderten wird niemand die Länge von Prothesen überprüfen. Einen kleinen Vorteil hat Pistorius also vielleicht doch. RASMUS CLOES