Ran an die Speckflagge

Das Jahr 2007 wird Bremen einen neuen Triktosponsor, ein unauflösbares Patt bei der Wahl, eine Abschiebewelle und eine knifflige Entscheidung des Verfassungsgerichts gebracht haben. Steht alles schon jetzt im vorauseilenden Rückblick der taz

von Eiken Bruhn,
Benno Schirrmeister
und Armin Simon

2. Januar: Werder Bremen und Trikotsponsor bwin gehen getrennter Wege. Die Lösung des Vertrages mit dem Sportwettenanbieter sei „im besten Einvernehmen“ erfolgt, gibt Werder-Geschäftsführer Manfred Müller auf einer Pressekonferenz im Ostkurvensaal des Weserstadions bekannt. Gleichzeitig präsentiert er den neuen Partner: Die Lotto Bremen GmbH. Der T-Shirt Aufdruck „und Bremen gewinnt“ trage dem Glücksspielwerbeverbot Rechnung, so Müller. Tatsacheninformation sei schließlich erlaubt.

10. Januar: Aufsehen erregt der Bürgerschafts-Neujahrsempfang durch ein von Präsident Christian Weber initiiertes Gesellschaftsspiel: Ein Gläschen Sekt erhält nur, wer Erfeuliches über Bremen mitteilen kann.

19. Januar: In Köthen wird das Unwort des Jahres bekannt gegeben. Es handele sich bei dem Bremer Ausdruck „Röwekämp“ um einen „glücklicherweise regional ebenso wie leider auch geistig beschränkten Neologismus“, erläutert die Jury-Vorsitzende Margot Heinemann. Entscheidend sei aber der „erschütternder Grad ethischer Verrottung“, der aus der Neuschöpfung spreche. Sie funktionalisiere soziale Projekte für einen Wahlkampf, verbinde diese aber zugleich mit der Idee der Internierung Bedürftiger in Lager, zumal „diese dem Wirken des Namensgebers ungleich näher“ stehe, als der Gedanke an Fürsorge.

5. Februar: In einem Exklusiv-Interview mit dem Irish Examiner erläutert der Chef der LNC property group, Bill McCabe, welche Pläne er mit dem im Vorjahr erworbenen Space-Park verfolgt. Man habe diverse Ansätze geprüft und verworfen. Überzeugend sei einzig die Idee eines „modern and vibrant“ Zockerparadieses. Als kompetenten Partner habe man das Unternehmen bwin an Bord geholt. Politisch habe man grünes Licht.

8. Februar: Wirtschaftssenator Jörg Kastendiek bestätigt, dass bwin seine Europazentrale nach Bremen verlegen will. Man sei seit September 2006 im Gespräch, die Sache habe zusehends an Dynamik gewonnen. „Das ist ein ganz normaler Investor“, so Wirtschaftssenator Kastendiek, „keineswegs“ fühle man sich getäuscht. Stolz präsentiert er eine Absichtserklärung des Unternehmens, das sich verpflichtet, im Laufe von zehn Jahren zehn Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenzug werde bwin dafür sämtliche Glücksspielkonzessionen des Landes Bremen erhalten.

9. Februar: Röwekamp weist das Stadtamt an, Werder Bremen die weitere Werbung für „die zu liquidierende Gesellschaft Lotto Bremen“ zu untersagen.

13. Februar: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz präsentieren die CDU-Senatoren Kastendiek und Röwekamp den ersten Krawattensponsor des Senats: Es ist der Wettanbieter bwin. „Innovation“ heiße das Stichwort, so Kastendiek. „Unser Schuldenstand verpflichtet uns, neue Wege zu gehen.“ Durch den Vertrag sei „Bremen die erste öffentliche Verwaltung, die einen Kleidungssponsor für sich begeistern konnte. Darauf sind wir schon ein Stück weit stolz.“

2. März: Innensenator Röwekamp verkündet, dass Denis Ugurcu seine Herkunft offenbar verschleiert habe. Der Vorsitzende des Junge-Union Landesverbandes müsse deshalb abgeschoben werden. Dem Ausländeramt zufolge klinge „schon der Name so türkisch“.

5. März: Im Interview mit Nordwestradio kritisiert Matthias Güldner (Grüne) Röwekamp aufs Schärfste: Der Fall Ugurcu zeige erneut, „dass der Herr Innensenator ein Problem mit den Menschenrechten“ habe.

6. März: Als Studiogast bei „buten un binnen“ attackiert Ugurcu Güldners Einlassungen aufs Heftigste. Eine solche „Entmündigung“ sei „in keinster Weise hinnehmbar“. „Auch von den Grünen lasse ich mir die Pflicht nicht nehmen, mich abschieben zu lassen“. Selbstverständlich sei er von Röwekamps Ankündigung „überrascht und ein wenig geschockt gewesen“. Doch „das, wofür ich stehe und kämpfe, kann ja nicht dadurch falsch sein, dass es sich gegen mich wendet.“

9. März Ugurcu erfolgreich in die Türkei abgeschoben.

11. März Ugurcu landet wieder in Bremen. „Die Türkei hat die Übernahme verweigert“, so Röwekamp. Ugurcu: „Da sieht man wieder einmal, vor welche Schwierigkeiten eine geordnete und einwandfreie Abschiebepraxis gestellt ist.“

11. April: Der Untersuchungsausschuss Kindswohl ist beendet. Gemeinsam treten Helmut Pflugradt und Hermann Kleen vor die Presse und verkünden das Ergebnis: „Das Kind ist tot, und es lag im Kühlschrank“.

27. April: Der Untersuchungsausschuss zum Klinikskandal ist beendet. Schon zuvor hatte sich abgezeichnet, dass die ehemalige Sozialsenatorin Karin Röpke keine Schuld trifft. Überzeugend habe Röpke darlegen können, dass sie ihr Amt als das einer Senatorin für Gesundheit, nicht aber für Krankheit und dementsprechend Krankenhäuser verstanden hatte, heißt es im Abschlussbericht. Vorsitzende Karoline Linnert (Grüne) nennt den Ausschuss erfolgreich: „In Anbetracht des wahrlich engen Terminplanes“ sei das Ergebnis „mehr als befriedigend“.

28. April: Die Reaktion auf die Beendigung des Klinik-Ausschusses bleibt nicht aus: Der Senat erklärt, „seine Lektion gelernt zu haben“. Damit Andreas Lindner sich nicht aus der Verantwortung stehlen könne, werde man den ehemaligen Klinik-Geschäftsführer künftig als Senator für besondere Aufgaben enger an sich binden. „Ziel ist es“ so Senatskanzlei „diesen Mann unter Kontrolle zu bekommen“.

29. April: Lindner akzeptiert unter der Bedingung, einen über die Dauer der Legislatur hinaus reichenden Anspruch auf sein Amt zugesichert zu bekommen.

30. April: Die Bürgerschaft wählt Lindner auf Antrag von SPD und CDU-Fraktion zum Senator für besondere Aufgaben auf Lebenszeit. Oppositionsführerin Linnert bricht noch während der Abstimmung in Tränen aus.

13. Mai: Bei der Bürgerschaftswahl kommt die SPD auf 27,9 Prozent der Stimmen, die Grünen erhalten 25,4 und die CDU 22,1 Prozent. Während die FDP mit 4,9 Prozent denkbar knapp scheitert zieht die fusionierte Linke Liste aus WASG, PDS und anderen Gruppierungen mit 7 Prozent ins Parlament ein. Zudem erreicht der rechtspopulische Pool „Bremen muss Leben“ aus dem Stand 5 Prozent. Joachim Siegerist ruft sich daraufhin zum Wahlsieger aus. Im Anschluss an einen spontanen Dankgottesdienst in der Martinikirche veranstaltet er mit seinen Anhängern einen Fackelzug bis zur Bürgerschaft. Der geratrische Notdienst muss 20 Mal helfend eingreifen.

14. Mai: Für die Grünen analysiert Matthias Güldner das Wahlergebnis: „So wie es aussieht“, sagt er, „bekommt Bremen wieder einen grünen Bürgermeister“. Zum selben Zeitpunkt bedankt sich CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp bei den Wählern für ihr Vertrauen. „Sie haben die Große Koalition kritisiert und bestätigt“, so der Innensenator. „Seien sie gewiss, dieses Ergebnis wirft uns nicht um, es macht uns nur noch härter.“

15. Mai: Jens Böhrnsen erklärt, dass der Sparkurs Stimmen gekostet habe, aber ohne Alternative sei. Deshalb werde er „sehr genau schauen“, wie sich „die Fortführung der Koalition ausgestalten lassen“ könne.

16. Mai: Die fünf Abgeordneten von WASG-Linkspartei geraten bei Frage ob, mit wem und unter welchen Bedingungen wie koalitiert werden soll in heftige Auseinandersetzung, die in wüste Keilerei ausartet.

25. Mai: Röwekamp kündigt an, einen zweiten Abschiebeversuch in der Sache Ugurcu zu unternehmen. Damit soll der Eindruck vermieden werden, der Senat sei „in dieser misslichen Übergangszeit“ nicht handlungsfähig. Als neue Destination benennt er die Volksrepublik Kongo. „Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass sich der Name auch ein bisschen kongolesisch anhört“. Außerdem sei Ugurcu nachweislich tiefschwarz.

26. Mai: Ugurcu gibt dem Weserreport ein Interview, in dem er bekennt, „geahnt“ zu haben, „dass da etwas falsch ist mit der Türkei“.

27. Mai: Ugurcu wird mit einem Learjet vom Airport Bremen abgeschoben. Er sei „auf seinen ausdrücklichen und eigenen Wunsch“ gefesselt und geknebelt worden, erläutert ein Sprecher der Innenbehörde.

29. Mai: Ugurcu landet erneut in Bremen: „Die kongolesischen Behörden haben ihn nicht als ihren Staatsbürger anerkennen wollen“, bedauert Röwekamp.

7. Juni: Bei der Wahl zum Präsidenten des Senats fehlen Böhrnsen in drei Wahlgängen jeweils vier Stimmen. Die Abgeordneten der fusionierten linken Fraktion aus PDS, WASG und linken Vereinigungen beschuldigen sich gegenseitig, nicht gemäß interner Absprachen votiert zu haben. Es kommt zu einer wüsten Rauferei im Plenarsaal. Die Wahl des Bürgermeisters wird vertagt.

8. Juni: Der Senator für besondere Aufgaben, Lindner, gibt bekannt, neue Saalordner für öffentliche Gebäude engagiert zu haben. Der Geschäftskontakt sei über Stubu-Betreiber Rainer Büsing zustande gekommen.

12. Juni: Der Landeswahlleiter bestätigt die Gerüchte, nach denen der „exorbitante Anteil ungültiger Stimmen“ bei der Bürgerschaftswahl darauf beruht, dass etliche BremerInnen bereits nach neuem Wahlrecht gewählt haben. Zumal beim Kandidaten Willi Lemke sei „versucht worden, zu kumulieren“. Lemke kündigt an, daraus „eigene Schlüsse ziehen“ zu wollen.

30. Juni: Im Weserkurier klagt Denis Ugurcu über „ein Gefühl der Verlorenheit“. Er wisse einfach „überhaupt nicht mehr, wo ich hingehöre“.

1.-3. Juli: Mit einer dreitägigen Nonstop-Aufführung geht die Ära Klaus Pierwoß beim Bremer Theater zu Ende. Gezeigt wird ein Querschnitt sämtlicher unter der endenden Intendanz herausgebrachten Produktionen – mit allen lebenden, jemals in Bremen verpflichteten SchauspielerInnen.

13. Juli: Blitzbesuch des Papstes: Benedikt XVI. bietet Bremen die Komplett-Entschuldung an, falls das Land künftig den Status einer Kolonie des Vatikan annehmen wolle. Voraussetzung sei die Absage des protestantischen Kirchentages 2008: „Wir wollen die Ökumene nicht gefährden“, so Benedikt, „müssen und werden hier aber sehr genau auf Ökonomie schauen.“

27. August: Bildungssenator Willi Lemke beginnt seine allsommerliche Tour durch Bremer Schulen, um die Baufortschritte zu begutachten. Dabei fällt Beobachtern seine neuartige, goldene, zackige Kopfbedeckung auf.

28. August: Das bubi-Team, das Lemkes Schultour begleitet, fragt ihn beiläufig nach dem Sinn „dieses Blechhutes, oder was das ist“. Lemke antwortet, dass er sich bereits im Juli vom Papst zum König habe salben lassen, „aber hängen Sie das mal nicht gleich wieder an die große Glocke.“ Hofpressesprecher Klaus Schloesser bestätigt den Vorgang.

31. August: Ihre Majestät Willi I. hält eine erste Rede ans Volk. Dabei gibt König Lemke bekannt, dass Hermann Kleen künftig den Titel der Hofschranze führen darf.

2. September: Hans-Joachim Freys Pressekonferenz zum Spielzeit-Auftakt am Bremer Theater gerät zu einem Offenbarungseid. „Ich sage es, so wie es ist“, erklärt der neue Generalintendant die Absage der ersten fünf Premieren: „Wenn wir spielen, droht uns die Insolvenz.“ Als Grund gelten die Kosten für die PierwoßscheAbschiedsvorstellung.

17.-23. September: Beim Umzug von Radio Bremen ins Faulenquartier kommt es zu erheblichen technischen Problemen. Der Sender speist die ganze Woche lang Schwarzbild ins Netz ein. Im taz-Interview kündigt Intendant Heinz Glässgen an, zum Jahreswechsel zurücktreten zu wollen.

24. September: Die fusionierte Bürgerschaftsfraktion von WASG, Linkspartei und linken Gruppen hat sich aufgelöst: Ein Abgeordneter will den FDP-Abgeordneten unterwandern, zwei die Soziale Gerechtigkeit in die CDU tragen. Klaus-Rainer Rupp und Peter Erlanson wollen gemeinsam „für wechselnde Mehrheiten“ sorgen.

14. Oktober: Der Deutsche Fernsehpreis geht an Radio Bremen. Erstmals in seiner Geschichte werde die Auszeichnung nicht für einen einzelnen Beitrag oder eine Serie verliehen, sondern für eine ganze Sende-Woche: „Die 38. Kalenderwoche des Jahres 2007 ist schon jetzt ein Klassiker der Fernseh-Geschichte“, heißt es in der Begründung der Jury. Glässgen nimmt den Preis entgegen. Auf seine Rücktrittspläne angesprochen weist er diese als aus dem Kontext gerissene „Fehlinformation“ zurück.

31. Dezember: Das Bundesverfassungsgericht weist überraschend die Finanzhilfe-Klage Bremens als „unzulässig“ zurück. Bremens Selbständigkeit sei eine Rechtsfiktion, die „seit Jahrhunderten mittels Fälschungen aufrecht erhalten wird“. Ein fiktives Land sei aber von vornherein nicht zur Klage berechtigt. Als Belege führt das Gericht das durch Bestechung erlangte Linzer Diplom von 1646, die „in betrügerischer Absicht“ von Johann Smidt 1821 mit dem Haus der Welfen geschlossenen Verträge zur Hafengründung und den alljährlichen vorausschauende Jahresrückblick der taz Bremen auf.