Das große „Spiegel“-Alphabet

Das Hamburger Magazin wird 60. Ein Wahrheit-Geburtstagsgeschenk von A bis Z

A wie Augstein Diente unter Hitler und Jesus Menschensohn als Gymnasiast. Erwarb anschließend von den Siegermächten dank Vermittlung durch Captain Efraim Langstrumpf eine Lizenz für „das deutsche Nachrichtenmagazin“. Vom 4. Januar 1947 an lief dann „die Sau durchs Dorf“ (Quelle: anonym).

B wie Birne Der Feind schlechthin. Das Übel in Obstgestalt. Der Sauron von Oggersheim. Praktisch alle drei apokalyptischen Reiter auf einmal. Verneinte böswillig jede Interview-Anfrage „dieses Hamburger Blatts“. Konnte sich deshalb gerade mal 16 Jahre als Bundeskanzler halten. (Siehe auch: T wie Triumph der Feder!)

C wie Conrad Ahlers Brockte die Spiegel-Affäre ein, indem er einen „Abgrund von Landesverrat“ schuf. Ging trotzdem mit Augstein, Adenauer und Strauß gern einen heben. In „Rosis Eck“ lachte man bis zum Morgen über „einen Abgrund an Trinkfestigkeit“.

D wie Dienstag Der Tag nach Erscheinen des neuen Spiegel.

E wie Effenberg Wäre gern Spiegel-Starkolumnist. Scheitert leider immer noch an der ehernen Brandstwiete-Regel „Subjekt-Prädikat-Objekt“. Zitat Effe: „Ich sie knalle.“ Zitat Redakteur: „Ich knalle sie!“ Zitat Effe: „Du meine Ische knallst? Ich knall eine dir!“

F wie Focus Hatte seit der ersten Ausgabe bunte Seiten. Hat der Spiegel jetzt auch. Der Focus hat einen Superchefredakteur. Der Spiegel auch. Der Focus bringt doofe Titelgeschichten. Brachte der Spiegel schon seit der ersten Ausgabe. Gleichstand.

G wie Gibt’s doch nicht „Gibt’s doch nicht!“, sagte die vollbusige Blondine, als sie sah, was unterm Blaumann des muskulösen Maurers steckte. Er lächelte, während er den Hosenstall langsam öffnete: „Und? Schlimm …?!“ Aus dem Latz zog er lasziv den neuen Spiegel. Es war ein sehr dicker Spiegel!

H wie Helmpflicht Der Spiegel machte sich bereits in den Fünfzigerjahren stark für eine Helmpflicht. Noch heute sieht man die dienstältesten Redakteure des Magazins nur mit Schutzhelm in der Spiegel-Kantine sitzen. Angesichts der Speisen muss man sagen: auch besser so!

I wie Iltis Rudolf Augstein mochte weder Iltis noch Ibis, weder Igel noch Egel. Man sah ihn auch niemals in Hagenbecks Tierpark oder wenigstens auf dem Hamburger Fischmarkt. Sein einziges Interesse galt dem Menschen. „Wellensittiche zeichnen keine Abos“, so sein geflügeltes Wort.

J wie Gott Als der Herr Augstein noch unter den Menschen wandelte, staunte das Volk oftmalen und gaffte und verwunderte sich ob seiner Anwesenheit, und etliche fielen auf den Bauch, und sie stammelten unsinnig Zeug. Er aber lächelte und sprach: „Nun lasst mal gut sein mit dem Gestammel – die Leitartikel schreib immer noch ich!“

K wie Kindermund Tut Wahrheit kund. Goldene Regel des alten Augstein. Berühmt auch: das Kinderkramverbot in der Redaktionsrunde.

L wie Leitartikel Fahl grüßte durchs Fenster die Silbersichel des Mondes. Auf der Straße schepperten die Müllmänner mit den Tonnen. Bald würde Claus, der treue Lakai, wieder an die Tür pochen und nach dem Stand der Dinge fragen. Ach, Claus …! Wie einfach der sich alles vorstellte. Ein schlichter, gerader Bursche wie er – was ahnte der denn schon? Von der Not, der Qual des Leitartikels?! Trübsinnig wünschte der Herausgeber sich, den Lauf des schmalen Mondes um ein paar Stunden zurückdrehen zu können. Die Zeit, so knapp … Zu knapp! Das Land drohte in Stücke zu zerspringen, nur einer war noch da, nur sein Wort, um das Schlimmste zu verhindern – aber dieses eine Wort, wo war es bloß, dies Wort? Und da leuchtete es plötzlich auf, das Wort, es brannte wie eine Fackel – und der Herausgeber sprach, erfüllt von frischem Schwung, ins Diktafon: „Liebe!“ Und er fügte hinzu: „SPIEGEL-Leser!“ Der Rest ging dann wie geölt.

M wie Montag Der Tag, an dem der Spiegel erscheint. Landläufig: „Spiegel-Tag“. In Niedersachsen auch: „Spargeltag“. Und in Sachsen-Anhalt: „Superillu-Tag“.

N wie Nachrichtenmagazin Wird Woche für Woche neu definiert durch „das deutsche Nachrichtenmagazin“. Da kann Markwort noch so oft bei Christiansen den Helmut machen.

O wie Oscar-Verleihung Findet alljährlich im Februar statt. Leider bis heute ohne die Kategorie: „Bestes deutsches Nachrichtenmagazin.“ – „And the Oscar goes to … The Time Magazine!“

P wie Pinkelpause Wird an der Brandstwiete hoch und heilig gehalten. Kein Wunder: Die Toiletten stehen einen Block weiter (Quelle: Focus).

Q wie Quelle Unverzichtbar für Enthüllungsgeschichten, die die Republik erbeben lassen. Wird mit Mann und Maus geschützt. Da kann die Staatsanwaltschaft gern mal unsere Anwälte kennenlernen! Für Verpflegung beim Kennenlernen sorgt die Spiegel-Kantine (siehe auch: H wie Helmpflicht).

R wie Rumpelstilzchen Heiterer Spitzname für den Chef des Spiegel. An der Brandstwiete ungebräuchlich. Doch sollen Reinigungskräfte tief in der Nacht schon öfters die Worte gehört haben: „Ach, wie gut, dass niemand weiß …“ (Quelle: Focus)

S wie Sturmgeschütz „Wollen wir das wirklich loslassen?“, fragte der greise Kanzler seine Berater. Einige schüttelten furchtsam den Kopf. Die meisten aber nickten energisch. Der alte Mann schnarrte: „Nun gut – Mehrheitsmeinung gilt … Aber mir wird bang beim Gedanken an die Folgen!“ Die Berater schwiegen – aus Angst oder Berechnung. Der Kanzler drückte den Startknopf: „Von nun an hilft uns nur noch Gott.“ Das Sturmgeschütz schob sich aus seinem Versteck in den Tieflanden. Sein gewaltiges Rohr wuchs höher und höher, es zitterte unter der eigenen Wucht. Schließlich nahm es Maß: Die Mündung gähnte ins Gesicht des Kanzlers. „Wird schon werden“, murmelte der Mummelgreis, und im nächsten Moment krachte ein Schuss aus der Kanone. Die Granate pfiff hauchdünn am Kanzler vorbei, seine großen Ohren zitterten. „Gut, meine Herren“, rief er, sobald er sich selbst wieder hören konnte: „Sie haben das Sturmgeschütz der Demokratie in Aktion gesehen – lassen Sie uns jetzt bitte über ein zweites Fernsehprogramm und diese entzückenden Mainzelmännchen beraten!“ (Quelle: Guido Knopp)

T wie Triumph der Feder Mächtiger ist sie als das Schwert – darum untersagte der alte Augstein seinen Redakteuren, eine Schreibmaschine zu benutzen. Mit Pfauenflaumkielen, getunkt in Tinte aus Tiefseeoktopussen, schrieben sie ihre Artikel nieder. Später erfuhr der alte Augstein, dass Schwerter aus der Mode und durch Gewehre ersetzt worden waren. Da beschloss er, seinen Redakteuren Kugelschreiber zu erlauben.

U wie Uebergehen wir Übergehen wir.

V wieVendetta Grandioser Comicroman von Alan Moore – saumäßig von den Gebrüdern Wachowski verfilmt. Gehört nicht direkt hierher, kann allerdings auch nicht oft genug gesagt werden.

W wie Wahrheit Hat die taz gepachtet. Sorry, Spiegel!

X wie X für ein U Lassen Spiegel-Leser sich nicht vormachen. Denn Spiegel-Leser „wissen mehr“! (Quelle: Spiegel)

Y wie Yacht Augstein verschmähte jedes Angebot, mal „auf die Yacht“ zu gehen. Er wurde nämlich schnell seekrank. Doch er saß einem Hörfehler auf: Tatsächlich wollte man ihn als Kameraden für eine zünftige Jagd gewinnen. Und dabei hätte er gewiss gern mitgetan (siehe auch: I wie Iltis!).

Z wie Zeilenschinden Unumgänglich bei Spiegel-Titelgeschichten wie „Die Heilkraft der Bewegung“ (5/2006), „Der Ball Deutschland“ (11/2006) oder „Lebensgefühl Angst“ (35/2006). Weitere Beispiele könnten wir freilich sofort und auf der Stelle nennen, aber wir wollen jetzt, bei dieser Gelegenheit, gleichsam hic et nunc keine Zeilen schinden oder gar schänden. Wir könnten, wie gesagt, aber wir wollen nicht. Heißt es doch schon bei Plinius dem Mittleren: „Könnten wir, wie wir wollten, wollten wir nicht, dass wir könnten.“ Da hatte der listige Lateiner die überaus raffinierte Rechnung ohne den wirschen Wirt gemacht. Der nämlich …

KAY SOKOLOWSKY