Die Papiertüte mit dem Smileygesicht

NEUE DRAMATIK Der Verein Drama Panorama stellte mit einem kleinen Festival tschechische Gegenwartsdramatik in neuen Übersetzungen vor. Es geht um vergangene Ideale, kaufsüchtige Mütter und Anzeigenkontakte

Stimmen mosern, alle Cafés von Müttern besetzt – das ist irgendwie lustig, denn es ist ja wie in Berlin

VON KATHARINA GRANZIN

Um Theater zu machen, braucht man nicht viel. Ein paar Stühle und einen Tisch, vielleicht. Luftballons, Papiertüten oder andere kleine Requisiten, und natürlich etwas Platz.

So funktioniert das zumindest im Veranstaltungsraum des Tschechischen Zentrums, einem dunkel getäfelten, schlauchförmigen Saal. An einem Ende des Raumes sind Stühle in einer Formation aufgebaut, die einen Zuschauerraum simuliert. Das Arrangement ist allerdings flüchtig. Er werde uns nämlich bitten, erklärt Regisseur Eberhard Köhler zu Beginn den Besuchern von „Ein Stück: Tschechien“, im Anschluss an das erste Drama unseren Stuhl zu nehmen und einen neuen Sitzplatz zu suchen.

Die SchauspielerInnen Henning Bochert, Hannah Schröder, Naemi Simon und Anton Weil, die an diesem Abend mehrere Rollen nacheinander verkörpern, haben Manuskripte in der Hand, die man als Zuschauer aber bald schon nicht mehr wahrnimmt. In szenischen Lesungen stellen sie drei Stücke junger tschechischer DramatikerInnen vor, die zum Teil eigens für den Anlass übersetzt wurden.

Ein Anlass, der, so planen die Veranstalter, jährlich wiederholt werden soll. Der Verein Drama Panorama, der sich für Übersetzungen von Dramentexten aus Osteuropa einsetzt und den Austausch von Theater-AutorInnen und -ÜbersetzerInnen fördert, und das Tschechische Zentrum zeichnen gemeinsam für das kleine Festival verantwortlich, das erstmals stattfand. Die einzige bereits bekanntere Arbeit, die im Theater unterm Dach als Gastspiel aus Prag gezeigt wurde, ist die Kapitalismus-Groteske „Bekenntnis eines Masochisten“ von Roman Sikora; die anderen Stücke sind vom internationalen Publikum erst noch zu entdecken.

Das erste Stück des Abends, „Pokerface“ aus der Feder des 30-jährigen Autors Petr Kolečko, spielt auf drei Zeitebenen und ist damit das vom Aufbau her komplexeste. Es ist auch der einzige Text, der sich an einer historischen Einordnung der Gegenwart versucht und sich an der Elterngeneration abarbeitet. Zwei Vaterfiguren spielen eine Rolle – der Familienvater František, der an den gesundheitlichen Spätfolgen seines Arbeitslebens stirbt, und der ehemalige Präsident Václav Havel, der möglicherweise einst Jana, Františeks Tochter, geschwängert hat.

Eigennutz und Pokerspiel

Die Fernsehübertragung von Havels feierlicher Beerdigung wird an die Wand projiziert, während die zynisch gewordene Jana, die vom Pokerspielen lebt und damit viel Geld verdient, mit dem Freund ihrer Tochter schläft. Es ist eine sehr ernste Versuchsanordnung von Menschen, in deren Leben Ideale nur so lange die Hauptrolle spielen, wie sie den Zwecken des Eigennutzes dienen.

Während Kolečko die Elterngeneration gleichsam auf die Analysecouch legt, umkreist die gleichaltrige Anna Saavedra in ihrem essayistischen Dramentext „Geheimbericht vom Planeten der Mütter“ spielerisch das Phänomen des Mutterseins an sich. Saavedra ist im übrigen, weil hochschwanger, als einzige Autorin nicht angereist. Dafür haben die Zuschauer ihre Stühle in drei langen Reihen an der Längsseite des Raumes platzieren müssen, was einen Panoramablick ermöglicht, während knallend Fruchtblasen platzen. Die Darstellerinnen tun ihr Bestes, um einen hundertstimmigen Chor von Müttern anzudeuten und zu skandieren „Wie jede gute Mutter musst du die allerbeste Mutter sein und mehr und immer mehr kaufen!“. Auch mütterfeindliche Stimmen kommen zu Wort, die sich beschweren, dass Müttergeschwader Cafés besetzten; und das ist irgendwie lustig, denn es ist ja ganz wie in Berlin! Die Idee, sich an schlechten Tagen eine Papiertüte mit Smileygesicht über den Kopf zu ziehen, um das Baby bei Laune zu halten, wird vom Publikum mit großem Gelächter belohnt.

Entspannt nach dem heiter-grotesken Ausflug ins Übermütterliche packt die Zuschauerschaft wieder die Stühle und zieht um in die einzige Ecke des Raumes, die ein Fenster zur Außenwelt bietet. Hier spielt Eva Prchalovás Stück „Höhenangst“, auf einer Sitzecke und in der klassischen Formation der Begegnung zweier Paare. Hier bringt ein junges, unkonventionelles und etwas impertinentes Paar das geordnet langweilige Leben einer älteren Verbindung durcheinander. Worum es ganz genau bei der Internetannonce ging, über die diese vier Menschen in Kontakt gekommen sind, werden wir nicht erfahren. Auch nicht, ob es den Balkon wirklich gibt, auf dem sich angeblich ein Teil der Handlung hinter der Szene abspielt, oder ob dieser Balkon ein surrealistisches Element ist, das eher eine Art Bewusstseinszustand wiederspiegelt.

Eva Prchalová gewinnt für „Höhenangst“ jedenfalls den Publikumspreis des Abends: ein Wochenende in Berlin.