Wenn die Fock killt

FRISCHE LUFT Unser Autor will Segeln lernen. Möglichst schnell. Also besucht er einen Intensivkurs auf der Hamburger Außenalster – und geht wider Erwarten nicht unter

VON BENJAMIN LAUFER

Eigentlich war das alles eine fixe Idee. Als ich im vergangenen Sommer mit meinem Kumpel Matthias an der Elbe saß und wir die kleinen Segelboote dem Sonnenuntergang entgegengleiten sahen, fassten wir einen Entschluss: Wir wollen Segeln lernen. Wie man eben auch mal Bergsteigen oder Segelfliegen lernen will, weil das irgendwie eine schöne Vorstellung ist. Jetzt, ein Jahr später, nehmen wir das Projekt tatsächlich in Angriff.

Wir haben uns bei der Hamburger Segelschule Pieper zu einem Intensivkurs angemeldet. Das Werbeversprechen: In zwei Wochen auf der Alster Segeln lernen. An zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden müssen wir täglich von 10 bis 18 Uhr zum Theorie- und Praxisunterricht ran, danach sind nochmal zehn Übungsstunden im Preis von 480 Euro inbegriffen. Normalerweise dauert so ein Kurs fünf Wochen. Aber wenn das auch in zwei Wochen geht, kann es so schwer ja nicht sein. Dachten wir uns.

Ein gutes Dutzend anderer angehender Hobbykapitäne hatte ähnliche Gedanken und versammelt sich an einem Samstagvormittag im Juni im Bootshaus an der Außenalster. Es geht direkt mit einem Theorie-Crashkurs los: Unser Segellehrer führt uns in die wichtigsten Begriffe ein – Verklicker, Großschott, Vorstag. Er erklärt, was es heißt, wenn „die Fock killt“. Wie in der Schule trage ich das alles auf ein Arbeitsblatt ein, das vorher ausgeteilt wurde. Doch unser Lehrer hat mehr Humor, als die damals auf dem Gymnasium: „Rumpf ist das, womit man gegen den Steg fährt. Oder wo andere Boote rein fahren. Das sollte man möglichst vermeiden.“

Ziemlich schnell habe ich das Gefühl, überfordert zu sein von den ganzen neuen Informationen, die am Samstagmorgen auf mich herein prasseln. Nach einer guten halben Stunde sage ich zu Matthias: „Ich lerne das nie!“ Unbeirrt davon redet unser Segellehrer weiter im Stakkato. Er erklärt uns das erste Segelmanöver, die sogenannte Wende. Dabei muss der Steuermann „die Pinne wegdrücken“ und „das Segel dichtholen“. Die Pinne, das ist die Lenkeinrichtung am Ruder, hinten (oder, wie wir Segler sagen, achtern) am Heck.

Später werde ich verstehen, dass die Wende ein Kurswechsel ist, bei dem mein Boot mit dem Bug durch den Wind geht. „Wir wollen nach rechts fahren, aber wir lenken nach links“, erklärt der Lehrer. Aha. Hastig mache ich mir Notizen über das Manöver, ohne jemals eine Jolle betreten zu haben. Matthias hat die Begeisterung da längst gepackt: „Das wird geil!“, flüstert er mir zu. „Ich sag’s dir!“ Ich bin noch skeptisch, aber vor allem will ich endlich aufs Boot. Mein Wunsch geht erstaunlich schnell in Erfüllung, nach einer knappen Stunde steuern wir Richtung Wasser.

Unsere Smartphones schließen wir vorher im Spind ein. Man weiß ja nie, ob man trocken wieder an Land kommt. Zehn bis 15 Mal kentert hier pro Saison ein Boot, aber nur selten trifft es Segelschüler. Angeblich. Schnell schicken wir mit unseren mobilen Endgeräten letzte Grüße ans Festland. „Vielleicht ist das jetzt das letzte Mal Internet“, sagt Matthias. Der Galgenhumor funktioniert an diesem Tag einfach zu gut: „Wenn das Segel überschlägt, kann der Baum über 100 Stundenkilometer schnell werden“, warnt unser Segellehrer. „Wir müssen also auf unseren Kopf aufpassen!“ Klingt einleuchtend. Ich überlege, meinen Fahrradhelm aufzusetzen, verwerfe das aber wieder.

Dafür bekommen wir alle knallorange Schwimmwesten, für den Fall der Fälle. Dann steigen wir vom Steg zu viert auf unsere Jolle, drei Schüler und ihr Lehrer. Für mich das erste Mal auf einem Segelboot. Wackelt ganz schön, fühlt sich aber gut an. Matthias muss das Segel hissen. „Das ist ja richtig Arbeit“, sagt er. Tatsächlich kann Segeln ganz schön anstrengend sein, werden wir bald merken. Macht aber nix, im Gegenteil. Und irgendwie schaffen wir es tatsächlich, das kleine Boot aus dem Hafen auf die Alster zu manövrieren. I am sailing!

Auch das ist anfangs gar nicht einfach. Geradeaus fahren, das kriegen wir alle gut hin. Doch die Manöver zu fahren, ist kompliziert. Man muss auf so vieles gleichzeitig achten: Die Windrichtung, die Stellung der beiden Segel, die Neigung des Bootes. Mir fordert das einiges an Koordinationsfähigkeit ab. Dabei habe ich die meisten Begriffe, die mir mein Segellehrer zuruft, gerade zum ersten Mal gehört. „Das ist halt ein Intensivkurs“, sagt er. Er hat recht: Wir wollten das so.

Nach einiger Zeit auf dem Wasser stellt sich dann auch Zufriedenheit bei mir ein: Das Boot macht tatsächlich die meiste Zeit, was ich will!

Bei Sonnenschein flitzt es unter meinem Steuer über die Alster und sogar die Manöver funktionieren immer besser. Jetzt fällt mir wieder ein, warum ich das hier machen wollte: Um den Wind um die Nase zu spüren und dabei ein gutes Gefühl zu haben. Langsam kann ich mir vorstellen, dass ich diese Prüfung bestehen könnte und dann mit einer Jolle die Elbe hochsegele. Das war ja der Plan.

Die Alster gilt allgemein als gutes Revier, um Segeln zu lernen. „Wenn man hier die Ausbildung absolviert hat, kann man überall gut segeln“, sagt Benjamin Möller, 27-jähriger Betriebsleiter der Segelschule. Denn durch die Bebauung am Ufer ist der Wind auf der Alster unberechenbar: „Man lernt, mit Winddrehern und böigen Winden umzugehen.“

Am Sonntag lernen wir, wie man damit umgeht, wenn kein Wind da ist. Bei fast totaler Windstille dümpeln wir über die Alster. Reihenweise überholen uns Tretboote und die Touristen auf den Alsterschiffen machen Fotos von uns. „Es kommt auch mal vor, dass gar kein Wind ist“, sagt der Segellehrer. „Dann muss man was anderes machen.“ Ich frage: „Darf man in der Alster eigentlich schwimmen?“

Darf man nicht, aber soweit kommt es auch nicht. Wir machen weiter im Lehrplan: Bei seichtem Wind üben wir das Manöver „Mann über Bord“. Statt eines Menschen schmeißen wir einen gelben Kanister ins Wasser. Tatsächlich gelingt es uns meistens, ihn problemlos wieder einzufangen. So langsam bekommen wir Routine beim Segeln. Und das macht großen Spaß.

Doch dann flaut der Wind wieder ab und wir ziehen in den Schulungsraum der Segelschule im Stadtteil St. Georg um. In vier Stunden Frontalunterricht pauken wir den Stoff, den andere Segelschüler an drei Abenden lernen. Mehrmals fallen mir die Augen zu, trotz Cola und Energydrink. Jetzt weiß ich wieder, warum ich in meiner Jugend so ungern zur Schule gegangen bin.

„Ich habe das Gefühl, einen ganz neuen Wortschatz gelernt zu haben“, gibt ein Teilnehmer schmunzelnd Rückmeldung. „Da hätte ich auch gleich Spanisch lernen können.“ Der Profi mag nicht widersprechen: „Spanisch ist einfacher“, sagt unser Segellehrer mit einem Augenzwinkern.

Für einen Intensivkurs würde ich mich wohl nicht noch einmal entscheiden: Das war mir zu viel Information in zu wenig Zeit. Trotzdem bin ich recht zuversichtlich, die Prüfung für den Sportbootführerschein Binnen am Ende doch zu bestehen. Und wenn ich dann im Spätsommer mit Matthias auf der Elbe dem Sonnenuntergang entgegensegele, da sind wir uns sicher, dann werden sich die Strapazen gelohnt haben.

■ Benjamin Laufer, 32, schreibt als freier Autor unter anderem für die taz und Hinz&Kunzt. Er ist vor zwei Jahren nach Hamburg gezogen. Damals wurde er auf den Hafenfähren noch seekrank.