Na denn haut mal rein!

Das TV-Publikum war begeistert, so eine proletarisch-rustikale Küche wurde bislang noch nicht präsentiert

AUS ROMMERSKIRCHEN LUTZ DEBUS

Dicht an dicht stehen fünf gusseiserne Pfannen auf dem hundert Jahre alten Kohleherd. Faustgroße Fleischstücke brutzeln darin. Horst Lichter legt die Stirn in Falten. Es scheint ihm noch nicht genug zu brutzeln. Mit dem Feuerhaken öffnet er die Herdplatte, schmeißt drei Briketts und zwei Kerzen in die Glut. „Brandbeschleuniger“, erklärt er. Sonst würde bei der Beschickung des Ofens die Temperatur fallen und das Fleisch von Rind, Lamm und Strauß wäre verdorben.

Jetzt ist das Gemüse an der Reihe. Eine Sahnesoße mit Kohlrabispänen blubbert im flachen Topf. In den Sud legt der drahtige Koch riesige Weißkohlblätter und füllt diese mit gebratenen Champignons und Möhrchen, mit Blumen- und Rosenkohl, mit Broccoli und Böhnchen. Ein essbarer Gemüsegarten. Stolz zeigt er eine Pfanne voller goldgelber Kügelchen: gebratene Kartoffelklöße. „Meine Rache für Tiefkühlpommes und Kroketten“, kichert der 44-jährige. Die Fleischbrocken drapiert Lichter mit schneller Hand auf das Gemüsebeet und schon ist das Hauptgericht für acht Personen fertig. In Pfanne und Kochtopf wird es den Gästen serviert.

„Lichter‘s Oldiethek“ heißt das Restaurant, das in den letzten Jahren für Gourmets in NRW zu einer Pilgerstätte geworden ist. Monate muss man bei Lichter auf einen Tisch warten. Dabei hat das Lokal keinen prominenten Standort. Rommerskirchen, Ortsteil Butzheim, 20 Kilometer nordwestlich von Köln. Aber ohne Reservierung darf man höchstens Samstagnachmittag zu Kaffee und Kuchen kommen und das Etablissement bestaunen.

Das sieht eher aus wie die Wirkungsstätte eines durchgeknallten Sammlers, als dass man hier einen der berühmtesten Fernsehköche der Nation vermuten würde. Omas Kaffeekannen mit Filzwärmer stehen in einem Regal neben Opas Moped, eine Fernsehkamera mit Drehwechselobjektiven neben einem ebenfalls museumsreifen Lamborghini. Vergilbte Fotos, Schellackplatten und alte Urkunden bedecken die Wände. Nähmaschinen, Schreibmaschinen, ein Frisiersalon aus den 1950er Jahren – überall steht was rum. Auf den nackten Tischplatten ist der Charme früher WG-Zeiten zu bewundern. Keine Gabel, kein Messer, kein Teller gleicht dem anderen.

Auch an den Tischen sieht es nicht aus wie in einem eleganten Restaurant. Leger gekleidete Menschen mittleren Alters füllen die 65 Plätze. Ein kalbsgroßer Hund döst zu Füßen seines Frauchens. Die Frau um die 40 ist Lehrerin und kommt gern hier her. Wegen der urigen Atmosphäre. „Man muss zwar lange warten, bis der Hauptgang kommt. Aber man kann sich ja in der Zwischenzeit an all den alten Schätzchen satt sehen.“ Später wird sie für drei Gänge und Getränke gut 40 Euro bezahlen. Viel für ein vollgestelltes Landgasthaus, wenig für eine berühmte Erlebnisgastronomie. Eine Speisekarte gibt es nicht. Zu jedem Tisch kommt der Küchenchef persönlich und preist seine täglich wechselnden Kreationen an.

Gegen 22 Uhr hebt Horst Lichter die letzte Pfanne vom Herd. Dann setzt er sich zu einem Pärchen an den Tisch, lässt sich einen Kaffee servieren und erzählt bei einem exorbitant großen Stück Apfelkuchen mit dreifacher Portion Sahne sein Leben. Vater war Arbeiter bei Rheinbraun. Im Tagebau die Kohle schippen, die von der Maschine fiel. „Ein herzensguter Mensch. Zu lieb für die Welt.“ Wenn es zu Hause mal wieder knapp war mit Geld, habe er dem Sohn vorgeflunkert, dass er sein Brot am liebsten nur mit Butter isst. Und dann habe er dem Kleinen den Rest von der Leberwurst auf die Stulle geschmiert.

Mit 14 hat Hotte, wie sich Lichter selbst mitunter nennt, seine Lehre angefangen als Koch. In dem kleinen Restaurant „Alte Post“ in Bergheim lernte er viel. Aber später, als Geselle in einem Ausflugslokal, verlor er den Spaß an seinem Beruf. Manchmal mussten fünf Busladungen in einer Stunde abgefertigt werden. „Das war kein Kochen, das war Lebensmittel erwärmen.“ Schnell schmiss er das Handtuch und den Kochlöffel. Wie sein Vater fing er bei Rheinbraun an. Aber statt zu schippen, musste er fegen, in Wechselschicht. Mit 25 hatte er einen Hirnschlag, berappelte sich aber wieder. „Ich dachte, das ist wie Schnupfen. Kommt und geht wieder“, schnauft Horst Lichter. Beim Ohne-Punkt-und-Komma-Erzählen raucht der Küchenchef Kette und reibt sich immer wieder, als wäre er restlos erschöpft, über den rasierten Schädel. „Zwei Jahre später dann der zweite Hirnschlag, diesmal mit Herzinfarkt.“ Da habe er gemerkt, dass er sein Leben von Grund auf ändern musste.

„Ich stand vor diesem Haus und wusste, dass ich hier meinen Traum verwirklichen konnte“

„Irgendwann stand ich vor diesem Haus und wusste, dass ich hier meinen Traum verwirklichen konnte.“ Vor hundert Jahren war das Gebäude ein Tanzlokal, später beherbergte es ein Kino, dann ein Flüchtlingsheim, einen Gemeindesaal. Bevor Horst Lichter das Anwesen mietete, waren dort ein Schrottplatz und eine Karosserieschlosserei untergebracht. Zur Frühschicht ging er noch immer zu Rheinbraun, danach werkelte er an seinem Traum. Alte Mopeds und Autos, ein Tisch und ein paar Stühle, so fing das an. Ein Restaurant durfte er nicht eröffnen. Schließlich verstieß er gegen fast alle Auflagen. Aber einen Club durfte er gründen, den „Spinner-Club“. Oldtimerfreaks kamen zu ihm und aßen. Entweder war er pleite oder ganz pleite. Als es mal wieder ganz schlimm um ihn stand, rief der WDR an. Man wolle über seine Kochkunst berichten. Sein erstes Gericht als Fernsehkoch war Bohnenbirnenspeck. Die Zuschauer waren begeistert. So eine proletarisch-rustikale Küche wurde bislang noch nicht präsentiert. Ein kleiner Mann in Lederweste, der vor seinem Kohleherd steht und in Ermangelung von Glaskaraffen die Zutaten in Kaffeekannen lagert, um sie vor laufender Kamera in die Pfannen zu schütten – das war neu.

Inzwischen ist Horst Lichter nicht mehr beim WDR. Seine Sendung ist trotz guter Quoten einer Programmstrukturreform zum Opfer gefallen. Stattdessen kocht er nun im ZDF bei Johannes B. Kerner. Beim SAT1-Promi-Grillen gewann er an der Seite des Schauspielers Heinz Hoenig. Zur Fußball-WM brutzelte er bei Jörg Pilawa. Morgen um 15.30 Uhr läuft die zweite Folge von „Lafer! Lichter! Lecker!“, eine rheinisch-österreichische Kochshow im ZDF.

Wenn der kleine Mann seinen verbliebenen Gästen erzählt, wie stolz er, der ehemalige Hauptschüler, noch immer ist, wenn er in der Business-Class zum Studio nach Hamburg fliegt und vom Chauffeur abgeholt wird, dann glaubt man ihm das fast. Von allen Besuchern der Oldiethek verabschiedet er sich auch diesmal mit Handschlag. Einer Schwangeren wünscht er einen schönen „Hotelaufenthalt“. Einem Bekannten gibt er mit auf den Weg: „Freu Dich nicht auf Weihnachten. Dann wird das Scheiße. Denk, es wird Scheiße, dann wird es geil.“ Noch ein Lachen und der Laden ist leer.

Wegen des Geldes mache er das Ganze nicht, sagt der Koch. „Ich freu mich, wenn Leute an einem Tisch sitzen und reden und lachen. Das ist selten geworden.“ Auch wenn er selbst schwitzend am Herd stehe, die Gemütlichkeit in seinem Laden genieße er. Bei ihm könne man mit dem Löffel in der Hand schon mal zum Nachbartisch gehen und da von der Suppe probieren. Im nächsten Jahr will er weniger machen. Das Herz. Der Kopf. Das geht ja nicht ewig. Vielleicht ist das ja genau der Unterschied zu den Schicki-Micki-Läden der Fünf-Sterne-Köche. In der Oldiethek sieht man auf jedem Zentimeter, dass man sterblich ist. Und diese Entdeckung der Endlichkeit kann, freundlich serviert, auch tröstlich und gemütlich sein.