Natürliche Verbündete

Eine Phänomenologie des Drogenkonsums im Film: „The Conquest of Happiness“ und andere Videoarbeiten von Oliver Pietsch berauschen sich bei Goff & Rosenthal an ihren eigenen Bildern

Kein Regisseur lässt sie sich nehmen: die Blutwolke, die in die Spritze explodiert

VON TOBIAS RAPP

Erstaunlich, wie nahe Film an den Traum heranrücken kann. „Maybe Not“ heißt die Videoarbeit des Berliner Künstlers Oliver Pietsch, die einen im Vorderraum der Galerie Goff + Rosenthal empfängt. Sie besteht aus nichts weiter als zahllosen hintereinander geschnittenen Bildern von Menschen, die von Dächern fallen – quer durch die Filmgeschichte. Und so wie diese Bilder zusammengestellt und aus ihrer jeweiligen Erzählung herausgelöst worden sind, bleibt von ihnen vor allem jenes Gefühl von Schrecken und Schönheit des freien Falls, das jeder aus seinen Träumen kennt.

Und was gibt es nicht alles für Arten und Weisen, von Dächern zu fallen. Oft sind es Selbstmorde, aber nicht nur. Man kann auch wirklich fliegen, wenn man Superman ist etwa, und ein Mädchen, das fällt, im Flug auffangen. Man kann springen, gestoßen werden, stolpern. Man kann fliehen, man kann in dem Glauben, es seien einem Flügel gewachsen, versuchen zu fliegen. Gelandet wird dabei erstaunlich oft auf Autodächern, was nicht nur daran liegen kann, dass diese häufig vor Häusern auf der Straße stehen. Es muss auch etwas damit zu tun haben, dass ein eingedrücktes Autodach mit frisch hineingefallener Leiche eine so überzeugend friedliche Stille ausstrahlt: Hier sind ganz viele potenzielle Bewegungen zu einem Ende gekommen, Mensch und Maschine vereint im ewigen Schlaf. Ob es der Fall von einem Gebäude ist, der selbstmörderische Schuss in den Kopf, Gewalt gegen Frauen oder Drogenkonsum – Pietschs Arbeiten erinnern samt und sonders an die Enzyklopädie des bewegten Bildes, an der Harun Farocki und seine Verbündeten seit einigen Jahren arbeiten, diese große Sammlung filmischer Gesten. Nur dass Pietsch keine Reflexionsebene einzieht.

Die Hauptarbeit der Ausstellung in der noch neuen Berliner Filiale der New Yorker Galerie ist „The Conquest of Happiness“. Ein 45 Minuten langer Zusammenschnitt von allen möglichen Filmsequenzen, die mit Drogen zu tun haben. Auch Drogen und Film sind natürliche Verbündete – obwohl die Verbindung von Bild und Gefühl nicht so direkt funktioniert wie bei den Bildern vom Fallen. Da fällt man ja immer wieder selbst mit. Es gibt zwar all die Versuche, den Drogenrausch direkt in eine Bildsprache zu übersetzen. Doch für den Film sind Drogen vor allem als kulturelle Zeichen und Teil delinquenter Alltagsrituale interessant.

„The Conquest of Happiness“ deckt das ganze Spektrum der Rauschdrogen ab, angefangen bei Marihuana und Haschisch über LSD und Alkohol zu Heroin und Schlafmitteln, um dann bei Kokain, Crack, Ecstasy, Speed und Lachgas zu landen. Wieder sind es Schnipsel aus Hunderten von Filmen, die Pietsch verwendet. Und es ist interessant zuzuschauen, welche Ikonografien sich für einzelne Drogen im Laufe der Jahre ergeben haben. Recht unattraktiv, weil zu sehr einer bestimmten Zeit verhaftet etwa ist die von LSD – was erstaunt, ist LSD von der Wirkung her gedacht schließlich die visuellste aller Drogen. Aber kulturell ist sie so fest in die späten Sechziger und frühen Siebziger eingemauert, dass es jenseits von buntem Panton-Möbel-Geflashe oder naturnahem Hippie-Gewese keine anderen Möglichkeiten der Visualisierung zu geben scheint.

Sehr attraktiv dagegen: Kokain. Aus verschiedenen Gründen: Da ist zuallererst die schneereine Schönheit der Droge selbst. Dazu kommen die Rituale der Vorbereitung: der Spiegel, auf das man das Koks schüttet, die Rasierklinge, mit der man es zerhackt, der Geldschein, durch den man die Line dann zieht. Und dann der immer gleiche kulturelle Begleitchor: teure Wohnungen, Koffer voll Dollarnoten, Designeranzüge, Villen, Palmen, Pastellfarben. Darstellungstechnisch ist Kokain auf der Leinwand eine saubere Droge, symbolisch gesprochen der Ort, wo Verbrechen und Illegalität sich mit den Aufstiegsversprechen der Gesellschaft treffen. Das Gegenteil von Heroin also.

Interessanterweise scheint sich der eigentliche Kokain-Flash aber nur schwer in Bilder übersetzen zu lassen. Ganz anders als Speed: Der dreckige, harte Speed-Kick als das beglückte Zucken von kaputten Speed-Freak-Gesichtern ergibt in Pietschs Reihung einen schönen Sinn.

Das hat wiederum eine gewisse Verwandtschaft zur Darstellung von Heroin, dem Ort, wo Verbrechen und Illegalität im Film immer frontal auf die Drohung des sozialen Abstiegs stoßen. In Szenen, in denen Heroin konsumiert wird, steht auch immer viel Abfall in der Gegend herum. Der andere Unterschied zum Koksen – und das ist wichtiger –: Heroinkonsum handelt visuell immer von der bedrohlich-brüchigen Grenze zwischen Körper und Droge. Kein Regisseur lässt es sich nehmen, den Stich der Nadel unter die Haut ins Zentrum der Darstellung von Heroinkonsum zu setzen. Als nächste Einstellung kommt dann immer auch die kleine Blutwolke, die im Gegenzug in die Spritze hineinexplodiert – bevor die Hand dann den Druck setzt und der User glücklich zurücksinkt.

Zwei Jahre hat Oliver Pietsch an seiner kleinen Phänomenologie des Drogenkonsums im Film gearbeitet. Er hat sich in der Dramaturgie von der Logik der Bilder leiten lassen und nicht von der Vorstellung, eine solche Collage müsse auch als Argument funktionieren. Eine Vorgehensweise, die durch die eingesetzte Musik noch unterstrichen wird – die Bilder selbst haben so etwas angenehm Rauschhaftes.

Bis 30. 1.: „The Conquest of Happiness“ und andere Videoarbeiten. In der Galerie Goff + Rosenthal, Brunnenstr. 3