ÜBER FREMDE MAUERN
: Im Promi-Garten

„Was haben Sie hier zu suchen?“, fragt der Polizist. „Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“

Fast muss ich quietschen vor Freude: Endlich Feierabend. Was nun? Mein Körper lechzt ob des ewigen Rumsitzens am Schreibtisch nach Bewegung.

Flugs geht es also raus, hinunter zum nächtlich erleuchteten Schloss Bellevue und links hinab an die Spree. Linker Hand ragt bald die erste Mauer empor. Dahinter ein Park; die Promenade, auf der ich laufe, liegt etwas tiefer. Mein schier grenzenloser Bewegungsdrang und eine als Trittstufe dienende Parkbank lassen mich die Mauer überwinden. Auf dem Gras des Parks drehe ich eine kurze Runde und laufe dann die Treppe hinab wieder auf die Promenade. Weiter geht’s. Die nächste Mauer, der nächste Park. Eine Treppe als Zugang sehe ich nicht. Doch darüber mache ich mir keine Gedanken. Mein Plan: über die Mauer, durch den Park, nach Hause. Ich mache mich daran, ihn in die Tat umzusetzen. Bis zum zweiten Punkt komme ich. Umherirrend finde ich den verdammten Ausgang nicht. Stockdunkel ist’s. Wo bin ich hier nur gelandet?

Doch da, eine Taschenlampe läuft auf mich zu. Ah, andere Leute sind auch hier, so verfahren kann meine Situation gar nicht sein. Denkste. Die Lampe liegt in der Hand eines Polizisten. „Was haben Sie hier zu suchen? Wissen Sie, wo Sie sich befinden?“ Mein verdatterter Gesichtsausdruck scheint ihm Beweis genug für meine Unwissenheit. „Sie befinden sich im Garten des Bundeskanzleramts“, sagt er. „Mitkommen!“ Hausfriedensbruch sei das, meinte er noch. Der Beamte und seine Kollegen eskortieren mich in einen fensterlosen Raum. Ich darf ihnen meine Geschichte erzählen. Dabei verlieren ihre Gesichtszüge langsam ihre Härte. Sie scheinen mir zu glauben. Mit der Aufforderung, so was nie mehr wieder zu tun, schicken sie mich nach Hause. Auf dem Heimweg hören irgendwann meine Knie auf zu zittern. Eine Anzeige habe ich glücklicherweise nicht bekommen.MARKUS MAYR