Richter dealt im Drogenprozess

Eine 37-Jährige ist wegen Anstiftung zum Transport von Heroin angeklagt. Eigentlich sollte es ein flottes Verfahren werden: Verteidigung und Richter haben sich auf eine Höchststrafe geeinigt. Doch der Staatsanwalt spielt nicht mit

Ein ganzer Vormittag verstreicht mit juristischem Tauziehen

Eigentlich schwebten dem Staatsanwalt sechs Jahre Gefängnisstrafe vor: Für die Anstiftung zum Transport von fast 1.500 Gramm Heroin kann es nach Ansicht von Gerhard Daum keine geringere Strafe geben. Doch kurz vor der Verhandlung gegen Anna-Ewa Z.-S. erfährt der Ankläger, dass sich Richter und Verteidiger auf eine Höchststrafe von dreieinhalb Jahren geeinigt hätten, falls die Angeklagte geständig ist – ohne Daum zu fragen.

Strafmilderung gegen Geständnis – offiziell „Verfahrensbeendende Absprachen“ und kurz „Deal“ genannt – sind in der Justiz üblich und erlaubt. Doch sie funktionieren nur, wenn alle Verfahrensbeteiligten damit einverstanden sind. Im Prozess gegen Anna-Ewa Z.-S. am Dienstag vor dem Landgericht fühlt sich der Staatsanwalt offensichtlich übergangen. Noch vor dem Verlesen seiner Anklage fordert er deshalb schriftliche Erklärungen, stellt einen Befangenheitsantrag und wehrt sich mit aller Macht dagegen, „nur zum Schein“ eine Verhandlung durchzuführen. Schließlich erklärten sich die Richter für nicht befangen und lassen den Antrag von einer anderen Kammer „als unbegründet“ zurückweisen. „Er dealt immer“, kommentiert die vermutlich um ihren Feierabend bangende Justizwachtmeisterin die Taktik des Vorsitzenden Richters Günther Sander. Ein ganzer Vormittag verstreicht mit juristischem Tauziehen.

Derweil leidet die Angeklagte sichtlich: Permanent wiegt die Frau ihren Oberkörper hin und her, birgt das vom Weinen aufgequollene Gesicht abwechselnd in den Händen, mal mit, mal ohne Taschentuch. Seit Ende September sitzt die 37-Jährige in Untersuchungshaft, der Schock über den Verlust der Freiheit ist dennoch frisch und sichtlich tief.

Es geschah in der Kneipe „La Luna“ in Kreuzberg. Ein Mann fragte die dort kellnernde Anna-Ewa Z.-S., ob sie und ihre Freundin Renata C. nicht Kuriere für den Transport von Drogen besorgen könnten. 5.000 Euro wurde ihnen dafür angeboten. Renata C. fragte ihre Untermieterin, die 18-jährige Marta B. 1.000 Euro sollte sie dafür bekommen, sagte die Angeklagte vor Gericht. Der Staatsanwalt hat andere Informationen: Anna-Ewa Z.-S. und Renata C. hätten Marta mit einer Arbeit im Bordell gedroht, wenn sie den Kurierdienst ablehnen würde.

Wie dem auch sei: Am 19. Mai 2006 fuhr Marta B. nach Istanbul, am 21. Mai kam sie mit dem Heroin, versteckt im doppelten Boden ihrer Reisetasche, zurück. Anna-Ewa Z.-S.und Renata C. erwarteten die Kurierin am Flughafen Tegel, doch die wird dort verhaftet. Im August verurteilte das Amtsgericht Tiergarten die Jugendliche zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Kurz danach schnappte die Polizei Anna-Ewa Z.-S., nach Renata C. wird in Polen gefahndet.

In seinem Plädoyer erklärt Staatsanwalt Daum, dass man mit dem transportierten Rauschgift eine ganze Kleinstadt versorgen könnte. Ab einer Menge von 1,5 Gramm reinem Rauschgift sprechen Juristen von einer „nicht geringen Menge“. Der Staatsanwalt argumentiert, für 500 Gramm hätte ein Kurier im Jahr 2003 fünf Jahre Freiheitsentzug bekommen. Die nicht geringe Menge sei hier fast 1.000fach erreicht worden, muss auch Richter Sander zugeben. Dennoch fühle er sich nicht an die Urteile anderer Kammern gebunden und verkündet das zuvor verabredete Strafmaß.

Die Verteidigung erklärt prompt „den Verzicht auf Rechtsmittel“, sie geht also nicht in Revision. „Nach dem Rechtsmittelverzicht der Staatsanwaltschaft wage ich nicht zu fragen“, beendet Sander sarkastisch die Sitzung. Natürlich legt Staatsanwalt Daum Revision ein.

UTA FALCK