Kinder in Gefahr

AUS HAMBURG Gernot Knödler

In Hamburg wurde gestern noch mehr von dem radioaktiven Gift Polonium-210 gefunden. Wie die Polizei mitteilte, sind deshalb die Exfrau des russischen Geschäftsmanns Dimitri Kowtun, deren kleine Kinder und deren Lebensgefährte „vorsorglich in das Strahlenschutzzentrum des Klinikums St. Georg eingeliefert worden“. Untersucht wird, ob sie den Stoff, der in geringsten Mengen tödlich wirkt, im Körper haben.

Dimitri Kowtun gehört zu den Männern, die den Kreml-Kritiker Alexander Litvinenko am Tag seiner Vergiftung in einem Londoner Hotel trafen. Ebenso wie der dritte Mann, Andrej Lugowoi, soll er laut russischen Medien in einer Moskauer Strahlenklinik liegen.

Vor dem Treffen in London hatte Kowtun eine Spur radioaktiver Strahlung durch Hamburg gezogen. Kowtun hat vor dem Treffen mit Litvinenko zweimal in der Wohnung seiner geschiedenen Frau übernachtet. „Wir vermuten, das sich dabei die Ursprungskontamination weiter verteilte“, sagte Thomas Menzel, Leiter der Sonderkommission der Polizei. Strahlung sei unter anderem im Kinderzimmer und an der Jacke des Lebensgefährten nachweisbar.

Laut Michael Hoffmann vom Bundesamt für Strahlenschutz sind Kleinkinder durch das Gift doppelt so stark gefährdet wie Erwachsene. Eine Übertragung sei aber „nur bei sehr intensivem Kontakt“ möglich, z. B. wenn man Geschirr gemeinsam benutzt.

Die Polizei hat weitere Kontaminationen nicht gefunden. Nach wie vor sei unklar, ob Kowtun nach dem Treffen mit Litvinenko noch einmal nach Hamburg zurückkehrte.

Unterdessen gibt Kowtun Rätsel auf. Nach eigenen Angaben beriet er deutsche Firmen, die in Russland Geschäfte machen wollten. Im Kreis der russischen Geschäftsleute in Hamburg scheint er aber unbekannt zu sein. Allenfalls der Name komme ihr und ihren Kollegen bekannt vor, sagt eine Geschäftsfrau, die ungenannt bleiben will. Es sei aber nicht ungewöhnlich, dass ein solcher Mann seine Beziehungen nicht in öffentlichen Zirkeln, sondern über private Kontakte anbahne.

„Kowtun war kein bekannter Geschäftsmann“, bestätigt Alexander Rahr, Programmdirektor im Körber-Tentrum für Russland und GUS der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Er gehört zur typischen Klasse von russischen Geschäftsleuten, die in den 90er-Jahren auch in Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten reich wurden und die seit sechs Jahren keine Möglichkeit mehr sehen, in Russland Geld zu verdienen.“ Damals kam der heutige russische Präsident Putin an die Macht, der die Geheimdienste wieder beschäftigte.

Männer wie Kowtun säßen zuhauf in den Verkehrsflugzeugen, die zwischen den europäischen Metropolen pendelten, sagt Rahr. Ihre Frauen und Kinder lebten im Westen, weil es für sie in Russland zu gefährlich sei. Die Geschäfte, die sie machten, seien teilweise zwiespältig. „Was wir hier erleben, ist möglicherweise gar kein Geheimdienstfall, sondern ein Fall von Schmuggel“, sagt Rahr.

Mitarbeit: Lisa Thormählen