Jerry im hell leuchtenden Mauseloch

Der menschliche Körper in der Kunst muss nicht zwangsläufig immer als Figur erscheinen. Die Anwesenheit von Personen im Raum lässt sich auch auf andere Weise erzeugen. Das zeigen gerade die Arbeiten des spanischen Bildhauers Juan Muñoz in der Düsseldorfer NRW-Kunstsammlung K 21

VON KATJA BEHRENS

Die kleinen geschwungenen Balkone hängen hoch oben an der Wand im Düsseldorfer Museum K 21. Bei zweien von ihnen weist das vertikal angebrachte Wort „Hotel“ auf die nähere Zweckbestimmung der Architektur hin, für die die schmalen Balkone ein Kürzel sind. Als Bauelemente verbinden sie drinnen und draußen, Privatheit und Öffentlichkeit und stellen zugleich eine wunderbare Projektionsfläche dar: Der Balkon ruft geradezu nach dem Menschen, der ihn benutzt, der auf ihn hinaustritt, der von ihm aus das Geschehen auf der Straße beobachtet oder sich selbst zur Schau stellt. Die mehrteilige Arbeit „Hotel Declercq“, die seit 1986, als Juan Muñoz sie für die Galerie Joost Declercq in Gent konzipiert hat, in unterschiedlichen Zusammenstellungen installiert wurde, stellt als eine der figurlosen Skulpturen einen wichtigen Aspekt im Werk des Künstlers vor: die im Objekt angelegte Idee der menschlichen Figur und den spannungsvoll leeren Raum, den der Betrachter imaginativ erst füllt.

Im Werk des früh verstorbenen spanischen Bildhauers Juan Muñoz (1953-2001) wird nicht nur der Begriff der Skulptur umspielt und erweitert, sondern auch die Vorstellung von Körper und Raum. Muñoz wurde in Madrid geboren und hat in London und New York Kunst studiert. In Madrid kuratierte er in den frühen 1980er Jahren Ausstellungen im Grenzbereich zwischen Kunst, Architektur und Ethnologie. 1986 kommt es zur ersten Zusammenarbeit mit dem Musiker Alberto Iglesias. Später entstehen Projekte mit dem Komponisten Gavin Bryars, dem Schriftsteller John Berger und dem Schauspieler John Malkovich. Neben seiner Tätigkeit als Bildhauer und Zeichner schreibt Muñoz poetisch-essayistische Texte, in denen seine Interessen von Architektur bis zur Zauberei deutlich werden.

Die Kunstsammlung NRW zeigt mit „Rooms of My Mind“ eine große Überblicksausstellung zum vielfältigen Schaffen des Spaniers, der zwar schon in den 1980er Jahren bei Konrad Fischer ausstellte, dessen erste und bislang einzige deutsche Museumsschau aber erst 1991 in Haus Lange in Krefeld stattfand. Initiiert wurde sie dort von Julian Heynen, der heute als künstlerischer Leiter des K 21 auch Kurator der zweiten deutschen Muñoz-Ausstellung ist, zusammen mit Valeria Liebermann. Dort werden insgesamt über 30, teils raumgreifende Skulpturen und Installationen, Zeichnungen, „Raincoat Drawings“ und Fotografien, sowie sechs Soundarbeiten, die so genannten „Hörstücke“ präsentiert. Die hat Muñoz mit Komponisten, Schriftstellern und Schauspielern verwirklicht. Einige von diesen akustischen und szenischen Arbeiten kommen zum ersten Mal in Deutschland zur Aufführung.

Anspielungsreich, oft humorvoll arbeitet der Bildhauer mit den unterschiedlichsten Medien, installiert nicht bloß seltsame menschliche Gestalten auf geometrisch gemusterten Böden, vor Spiegeln und in Ecken. Er lässt sie, bewegt durch einen verborgenen Mechanismus, auch stille Gespräche führen, die niemand hören kann, hängt einen Handlauf an die Wand, hinter dem ein Messer versteckt ist – dessen Benutzer mitsamt ihrer geheimnisvollen Geschichte allein in der Vorstellung des Betrachters existieren. Ganz ähnlich wie bei den Hörstücken, die dazu einladen, in der ausführlichen Beschreibung von Kartenspielertricks Figuren, Räume, Menschen und ihr irgendwie geheimnisvolles Tun zu erleben.

Die 27 Figuren der Arbeit “Plaza“ (1996), die das lächelnde Gesicht eines Chinesen zigfach wiederholen und doch in ihrer je unterschiedlichen Kopf- und Körperhaltung verschieden aussehen, gehören zum Sammlungsbestand des Museums. In der Arbeit „Many Times“ (1999) wird die ambivalente Erfahrung von Fremdheit und Egalität, von Individuum und Masse sogar auf hundert Figuren ausgedehnt. Und auch mit der Frage, ob es um kulturelle Unterschiede oder um konditionierte Wahrnehmungsweisen geht, weitet sich die Installation politisch aus.

Trotz aller kuratorischer Sorgfalt scheint die Juan Muñoz - Ausstellung in Düsseldorf im Ganzen allerdings ein wenig verzweifelt. Vor allem wohl deshalb, weil der feine Dialog mit der Architektur, wie er im Mies van der Rohe-Bau in Krefeld vom Künstler noch selbst angestoßen worden war, nun in den Räumen des K 21 ohne den Künstler viel nüchterner ausfallen muss, die Präsentation der Werke eher der Logik der musealen Retrospektive folgt. Aber nicht immer. „Waiting for Jerry“ (1991) ist ein in Höhe der Fußleiste in die Wand der Blackbox geschnittenes, von hinten hell leuchtendes Mauseloch, das den Betrachter mit der laut tönenden Erkennungsmelodie der amerikanischen Trickfilmserie Tom und Jerry in die Rolle der Maus versetzt, die sich in ihrem dunklen Loch versteckt. „Waiting for Jerry“, so erzählt der Künstler, „entstand 1991 für meine Tochter Lucía, die eine bedingungslose Solidarität mit Jerrys Bedürfnis verspürte, sich vor Toms bedrohlicher Gegenwart zu schützen. Heute beharrt ihr jüngerer Bruder Diego darauf, dass diese kleine und nervöse Maus ein Alptraum für die ruhige und friedliche Katze ist.“

K 21, DüsseldorfBis 04. Februar 2007Infos: 0211-8381130