Hilfe in der Weite

Auf der Suche nach Bezugspunkten: Lutz Fritsch zeigt in zwei Kölner Ausstellungen sein stählernes Werk

Als erster Künstler fuhr Fritsch mit der „Polarstern“ in die Antarktis, er fand dort eine beängstigende Weite

Dem Mensch Orientierung geben im Raum. Ihm durch sparsame, oft unscheinbare Eingriffe in die Umwelt neue Erkenntnisse über das Umfeld eröffnen. Zwischen zwei Orten Verbindungen schaffen, die sich allein im Kopf des Betrachters knüpfen. Mit Nähe und Distanz spielen. Mit Maß und Unmessbarkeit. So lässt sich die Quintessenz im Werk des Künstlers Lutz Fritsch zusammenfassen.

Der nordrhein-westfälischen Öffentlichkeit dürfte er am bekanntesten sein durch seine Stahlplastik „Rheinorange“ in Duisburg: An der Mündung der Ruhr in den Rhein platzierte er 1992 einen 25 Meter hohen, sieben Meter breiten und ein Meter tiefen, orange glänzenden Stahlquader. Beim Passieren erscheint es den Schiffern zuerst als breite Fläche, dann als „Linie im Raum“, schließlich wieder als breite Fläche. Im Bremer Hafen stellte Fritsch eine Stahlstele auf, die mit einem kleinen Mast auf dem Bug des Forschungsschiffes „Polarstern“ korrespondiert. So werden beide Orte imaginär verbunden, ohne dass sie je zusammenkommen können.

In gleich zwei Kölner Museen, dem Museum Ludwig und dem Museum für Ostasiatische Kunst, lassen sich in der Ausstellung „Räume und Welten“ jetzt Fritschs „Raumerforschungen“ modellhaft nachvollziehen. In Glasvitrinen postiert er millimeterdicke Stäbe in rot und blau. Meist sind sie nur wenige Zentimeter hoch, bisweilen werden sie von einem oder zwei größeren überragt. Ihre Anordnung erfolgt, so der Künstler, „intuitiv-emotional“. Durch unterschiedliche Blickwinkel – sei es aus der Vogelperspektive, der Augenhöhe oder dem Umkreisen – ändert sich das Zusammenspiel der Hölzer auf verblüffende Weise: Solitäre bilden auf einmal „Rudel“, die sich dann wieder in Solitäre auflösen. Scheinbares Chaos und strenge Ordnung wechseln einander ab. Ein ernsthaftes Spiel, das seinen besonderen Reiz inmitten chinesischer Landschaftsbilder entfaltet.

Ein verspätetes Schlüsselerlebnis für seine Kunst hatte Fritsch 1994. Als erster Künstler fuhr er mit der „Polarstern“ in die Antarktis. „Dort ist der Mensch hilflos der Weite ausgeliefert, weil er keinen Bezugspunkt hat“, ist der 51 Jahre alte Kölner noch heute von dem Erlebten fasziniert.

Den Bezugspunkt setzte er selber durch eine senkrechte Stange, in deren „Größe und Farbe sich der Raum konzentrierte“. Mit den Wissenschaftlern habe er intensive Gespräche über die unterschiedliche Wahrnehmung der weißen, maßstablosen Welt geführt. Aus dieser Begegnung wurzelt seine „Bibliothek im Eis“, für die er bislang 1.000 Bücher sammelte, um in der Antarktis- Forschungsstation „Neumayer“ den Dialog von Kunst und Wissenschaft zu fördern.

Die beiden Kölner Ausstellungen lassen sich verstehen als öffentliche Vorbereitung für sein im Rahmen der Regionale 2010 geplantes Projekt „Standortmitte“: In der Mitte der Kreisverkehre, die die Endpunkte der Autobahn Köln-Bonn bilden, will er je eine 50 Meter hohe, dünne rote Stele aufstellen – eine Plastik, die sich erst im Kopf zusammensetzt. Welche Wirkung solche Masten in der Landschaft haben können, demonstriert der Kölner mit roten oder blauen Linien auf Postkarten, etwa vom Rhein oder Venedig. „Projekte ohne Baugenehmigung“ nennt er sie.JÜRGEN SCHÖN

Lutz Fritsch: „Räume und Welten“, Museum Ludwig und Museum für Ostasiatische Kunst, beide Köln, bis 21. Januar 2007