Die Stanzen der Nachtfalter

Was die Menschen heute um ihren Schlaf bringt, könnte eine spannende Frage für ein Theaterstück sein. Doch „Insomnia“ am Kölner Artheater treibt das Publikum stattdessen in Morpheus‘ Arme

VON HOLGER MÖHLMANN

„Die ganze Nacht in Kino acht“ – wer möchte das nicht? Ein Traum? Wohl eher ein Alptraum, wenn die einzigen Gäste der langen Kinonacht fünf bedauernswerte Kreaturen sind, die in den allerfrühesten Morgenstunden verzweifelt versuchen, ihrer Schlaflosigkeit zu entkommen. So zumindest im Stück „Insomnia“, einer Produktion des Theaters 1.000 Hertz, zur Zeit zu sehen im Kölner Artheater.

Ein Stück über Schlaflosigkeit trifft den Nerv der Zeit, denn unproduktives Pennen hat ein denkbar schlechtes Standing in der globalisierten Gesellschaft. Wer schläft, verpasst das Leben, lautet das Credo einer Epoche, in der die Menschen fit und ausgeschlafen sein sollen und in der sich gerade deshalb immer mehr Erschöpfte nervös und ruhelos auf den Laken wälzen.

Oder eben morgens um vier ins Kino gehen. Das Publikum sieht den Akteuren zu, wie sie in Kinosesseln sitzen und zur Geisterstunde Filme über Geister gucken – über die Leinwand laufen amerikanische Gespenstercartoons. Überhaupt spielt die Leinwand eine tragende Rolle an diesem Theaterabend: Entführt sie die Zuschauer vor und auf der Bühne gerade mal nicht in die Welt der Untoten, zeigt sie echte Menschen aus New York. Befragt von den Regisseurinnen Charlotte Fechner und Christina Vayhinger plaudern Bewohner der Stadt, die angeblich niemals schläft, über ihre Ruhegewohnheiten und darüber, wie sie letzte Nacht geschlafen haben. Oder sie geben handfeste Tipps zum besseren Einschlafen wie Schäfchenzählen oder Masturbation.

Das alles könnten natürlich auch die Akteure auf der Bühne erzählen, doch die lernt das Publikum nicht wirklich kennen. Wie verirrte Nachtfalter hocken sie da und sondern Sätze ab, wie sie so abstrus und inkohärent wohl tatsächlich nur morgens um vier gesprochen werden. In abgestandenen Phrasen und wenig originellen Satzhülsen schildern die Schlafgestörten ihre Tag- und Nacht-, ihre Wunsch- und Wach- und Alpträume.

Und die könnten nicht uninspirierter sein: Da sieht sich der eine als Fundleiche enden, während die andere dringend an den Broadway möchte. Da wird über Bettgehrituale referiert und bei Tonausfall der Wortlaut auf der Leinwand scherzhaft verfremdet. Da werden mit größtmöglicher Langsamkeit bedeutungsschwangere Lieder intoniert („Are you lonesome tonight?“) und philosophische Zitate – möglichst in Fremdsprachen – in den luftleeren Raum gestellt. Ein intellektuelles Versatzstück reiht sich ans andere, der Weg zur nächstliegenden Assoziation wird gnadenlos eingeschlagen, Nasen und Stimmen triefen vor Betroffenheit. Gähn.

Sollte diese Inszenierung das Ziel haben, dem Publikum die verzweifelte Öde und die sinnlosen Rituale schlafloser Stunden nachvollziehbar zu vermitteln, so haben die Regisseurinnen ihr Ziel mit Bravour erreicht. Aber ist das schon alles? Wer sind die Figuren auf der Bühne? Warum können sie nicht schlafen? Wie lange geht das schon? Was denken sie darüber? Welche Auswirkungen hat der Schlafmangel auf ihr Leben? Fragen, die das Stück weder stellt noch beantwortet.

Hilflos verstecken sich die Akteure hinter der überzogenen Darstellung austauschbarer Träume und Ängste, während via Leinwand hellwache New Yorker über einsamen Sex und zu zählende Schafe dozieren. Fechner und Vayhinger verschenken die Chance, ein interessantes Thema spannend zu inszenieren, und bieten stattdessen praktische Einschlafhilfe: Nichts treibt einen müden Menschen so konsequent in Morpheus‘ Arme wie diese Produktion. Gute Nacht!

7. bis 9. Dezember, 21 UhrInfos: 0221-5503344