DOMINIKUS MÜLLER
: Zweitausendundzehn, zweitausendundelf …

Man könnte sich das Berliner Kunstjahr 2010 ohne Weiteres als seltsamen Dreisatz von Museumsgroßereignissen vorstellen: Es begann mit Thomas Demands vollmundig „Nationalgalerie“ betitelter Ausstellung in Mies van der Rohes modernistischem Glastempel, die gerade noch so aus dem letzten Jahr in das diese hineinragte. Es ging weiter mit Olafur Eliassons weitläufigem Unterhaltungsparcours „InnenStadtAußen“, der den isländischen Künstler nach jahrelangem Touren durch die Museen und öffentlichen Räume dieser Welt in den Martin-Gropius-Bau und damit in die Stadt heimholen wollte, in der seine Karriere begonnen hatte. Und es endet gerade in Carsten Höllers pseudowissenschaftlicher und scheinbar bewusstseinserweiternder Weihnachtsrevue mit Rentieren und Fliegenpilzen namens „Soma“ im Hamburger Bahnhof.

Egal nun, ob Thomas Demand mit seinen mit irrem Aufwand und großem Assistentenstab hergestellten Cardboardmodellen bekannter Medienbilder das nationale Historienunterbewusstsein und die Rolle der Medien im Prozess des Erinnerns befragen wollte; egal auch, ob Eliasson mit seinen Spiegelkabinetten, Nebelmaschinen, Wasserschläuchen und Theaterscheinwerfern erst an der Apotheose der Kunst zur Naturerscheinung arbeitete, nur um anschließend im Brummen und Summen der Maschinen oder im Dickicht der zur Schau gestellten Gerüste seiner Staunbuden das Gemachte der Illusion als fahlen Erkenntnismehrwert aufzuaddieren; egal schließlich auch, ob Höller seinen als „Doppelblindversuch“ maskierten Tierpark als gestrenge Untersuchung der Wahrnehmungsbedingungen ebenso wie des Verhältnisses Kunst und Wissenschaft verkauft – was diese drei Großveranstaltungen des Berliner Ausstellungsjahrs zusammengenommen in seltener Klarheit vorführten, war, was nach dem Überschreiten einer bestimmten Großkünstlerschwelle anscheinend fast zwangsläufig geschieht: Alles wird handwerklich perfekte Hülle und bis ins Allerletzte ausbuchstabierte Handschrift, alles wird wiedererkennbare Marke mit Alleinstellungsmerkmal und am Ende hohle und dann doch austauschbare Spektakelarchitektur, die schlicht nicht mehr imstande ist, das einzulösen, was ursprünglich einmal auf der jeweiligen Agenda gestanden haben mag.

Man verstehe das nicht falsch, das Problem ist weniger, dass sich diese Ausstellungen in die Gefilde massenkompatibler Unterhaltungsprodukte begeben haben – als solche konnte man sie zweifellos mit sehr viel Spaß und Kurzweil goutieren –, sondern dass sie anscheinend aus einer Art betriebsinternen Notwendigkeit heraus gezwungen waren, dabei nach wie vor von sich zu behaupten, das zu leisten, was man sich von Kunst eben so erwartet: dass sie nämlich radikal und ergebnisoffen Fragen stellt, an deren Ende im besten Falle tatsächlich so etwas wie ein Erkenntnisgewinn stehen mag. Für das Jahr 2011 sollte man diese Sackgasse also einfach mal ernst nehmen und entweder einen Schritt zurück oder gleich zwei nach vorne wagen.