Poroschenko wird mit Russland einen Kompromiss finden

WAHL Dem Schoko-Unternehmer trauen die Ukrainer am ehesten zu, einen Krieg zu verhindern, glaubt Wiktor Sokolow, Experte für internationale Beziehungen

■ 37, ist Vizepräsident des ukrainischen Gorshenin-Instituts (GI) mit Sitz in Kiew. Das GI ist ein unabhängiges Forschungszentrum für politische und gesellschaftliche Prozesse auf nationaler und internationaler Ebene. Es dient Experten, Politikern sowie Vertretern der Wirtschaft und Presse als Kommunikationsplattform. Sokolow erwarb einen Abschluss am Institut für Internationale Beziehungen der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität Kiew.

INTERVIEW BARBARA OERTEL

taz: Herr Sokolow, die Übergangsregierung von Arsenij Jazenjuk ist seit Februar im Amt. Was hat sie bisher vorzuweisen?

Wiktor Sokolow: Die Regierung von Janukowitsch hat ihr ein schweres wirtschaftliches Erbe hinterlassen. Die Kassen waren so gut wie leer. Es gab kein Geld, um Gehälter und Löhne auszuzahlen. Die jetzige Regierung muss zunächst einmal die notwendigen Mittel auftreiben, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Bis zum Ende dieses Jahres muss die Ukraine in erheblichem Umfang Auslandsschulden zurückzahlen. Die Regierung von Janukowitsch hatte versucht, mittels Kredite die wirtschaftliche Lage im Land zu stabilisieren.

Viele Stimmen, gerade auch in Deutschland, kritisieren, dass überhaupt westliche Gelder an eine Regierung gehen, in der Faschisten sitzen …

Die Frage ist, von welchen Faschisten wir sprechen. Von denjenigen, die jetzt im Rahmen der Gesetze handeln? Oder von denjenigen, die in den Regionen Lugansk und Donezk mit Waffengewalt Gebäude einnehmen, auf Menschen schießen und unter dem Schutz Russlands agieren. Wenn Sie in Kiew mit einer russischen Fahne auf die Straße gehen, passiert Ihnen nichts. Aber versuchen Sie das einmal in Lugansk mit einer ukrainischen.

Können inLugansk und Donezk am Sonntag überhaupt Wahlen stattfinden?

Russland hat bereits angekündigt, die Wahlen nicht anerkennen zu wollen. Und die Separatisten haben angekündigt, dass sie die Wahlen auf ihrem Territorium nicht zulassen werden. Das wird an einigen Orten wie Slawjansk auch geschehen und dann in den russischen Fernsehsendern als Beweis dafür präsentiert werden, dass der gewählte Präsident kein legitimer Präsident ist. Doch die Separatisten haben derzeit nicht genug Macht, die Wahlen in diesen Gebieten flächendeckend zu torpedieren.

Jüngsten Umfragen zufolge führt der Oligarch Petro Poroschenko das Feld der Kandidaten an. Neue Gesichter in der Politik: Das war eine Forderung der Anhänger des Euro-Maidan. Das trifft auf Poroschenko keinesfalls zu. Warum führt er in den Umfragen dennoch so klar?

Diejenigen, die, wie Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und der Chef der nationalistischen Partei Swoboda, Oleh Tjanbonjuk, bis zum Schluss auf dem Euro-Maidan waren und im Februar an die Macht gekommen sind, haben an Zustimmung verloren. Sie haben die Vereinbarung über eine Beilegung der Krise mit Janukowitsch unterschrieben. Genau in solchen schwierigen Situationen hat Poroschenko taktiert und sich vornehm zurückgehalten und ist lieber nach Brüssel gereist. Er profitiert davon, dass der Euro-Maidan keine neuen Führungskräfte hervorgebracht hat. Und er verhält sich, anders als Julia Timoschenko, diplomatisch, wenn es beispielsweise um die Antiterrormaßnahmen im Osten geht. Genau das wollen die Leute hören, weil sie eine reale Kriegsgefahr spüren, aber keinen Krieg wollen. Poroschenko trauen sie am ehesten zu, verhandeln zu können und sich mit Russland zu verständigen.

Welche Entwicklungen erwarten Sie nach den Wahlen in den Regionen Lugansk und Donezk?

In der Ukraine herrscht jetzt vielfach die Meinung, dass, sobald ein legitimer Präsident gewählt ist, sich auch die Situation im Osten radikal ändern könnte. Doch das ist ein Mythos. Auch vor einem neuen Präsidenten werden die Terroristen nicht davonlaufen. So wie ich Poroschenko einschätze, wird er versuchen, mit Russland einen Kompromiss auszuhandeln. Vielleicht hat er mit Moskau auch schon Vereinbarungen getroffen.

Welche zum Beispiel?

Darüber können wir derzeit nur Vermutungen anstellen. Tatsache aber ist: Poroschenko besitzt in Russland zwei Süßwarenfabriken. Zunächst hatten sie ihre Produktion eingestellt, jetzt aber wieder aufgenommen.

Das heißt Aufgabe von Gebieten im Osten im Austausch für ungestörte Geschäfte in Russland?

Das wissen wir nicht. Fest steht aber, dass Putin kein Interesse daran hat, dass sich die Regionen Lugansk und Donezk Russland anschließen. Die dortige Kohleförderung ist sehr kostenintensiv und Moskau müsste dort hohe Subventionen hinschicken, was Putin einige Probleme bereiten würde. Für Russland sind hingegen die Produktionsstätten des militär-industriellen Komplexes wichtig, um in diesem Bereich weiter konkurrenzfähig zu bleiben. Diese Stätten befinden sich unter anderem im Gebiet Dnjepropetrowsk. Deshalb will Putin auch dort weiter einen Zugriff haben. Und der wäre durch eine Annäherung der Ukraine an die EU versperrt. Um diesen Einfluss also weiter aufrecht zu erhalten, wird Putin versuchen, die Lage in den östlichen Regionen weiter zu destabilisieren.

In Dnjepropetrowsk regiert mit Igor Kolomojski ein ziemlich mächtiger und eigenwilliger Gouverneur. Wie ist denn Poroschenkos Verhältnis zu ihm?

Da könnte es zu Problemen kommen. Kolomojski agiert politisch und wirtschaftlich selbständig. Er hat es geschafft, dass es in Dnjepropetrowsk keine Anzeichen von Separatismus gibt, er hat eigene Batallione aufgestellt, die auch in den Gebieten Lugansk und Donezk aktiv sind. Da auch Pororschenko Geschäftsmann ist, könnten die Interessen beider schon bald zu Konflikten führen. Und das umso mehr, als Kolomojski auch der einflussreiche TV-Sender 1plus1 gehört.

Wird es nach der Präsidentschaftswahl Umbesetzungen in der Regierung geben?

Jazenjuk wird Premierminister bleiben, aber ich denke die Minister für die Bereiche Finanzen und Energie werden ausgetauscht. Das sind die Bereiche, wo am meisten Geld verdient wird. Poroschenko wird versuchen, Parlamentswahlen für den Herbst anzusetzen, nicht zuletzt, um sich selbst mehr Spielraum zu verschaffen.

Das alles klingt nicht nach einem Neuanfang unter einem Präsidenten Poroschenko. Wie würden Sie die Bedeutung des Euro-Maidan für die Demokratisierung der Ukraine insgesamt einschätzen?

Die ukrainische Gesellschaft versucht beständig gegen negative Prozesse innerhalb der Machtstrukturen anzukämpfen. Dazu gehört die weit verbreitete Korruption. Das war auch eine der Hauptforderung des Euro-Maidan. Die Staatsmacht soll transparent sein und der Präsident soll sich nicht persönlich bereichern. Die meisten Demonstranten auf dem Maidan waren Vertreter des Mittelstandes, die dort ihre Interessen verteidigt haben. Zwar hat die jetzige Regierung Schritte in die richtige Richtungen gemacht, doch schafft sie es nicht, die Korruption zu unterbinden. Veränderungen herbei zu führen, das ist ein langer und schmerzhafter Prozess. Die Menschen haben jedoch gezeigt, dass sie so nicht mehr leben wollen. Und wenn der neue Präsident sich genau so verhält, wie sein Vorgänger, werden wir bald den nächsten Maidan erleben.

Aus dem Russischen übersetzt von Barbara Oertel