AM BUSEN DER DRAGQUEEN
: Bin ich lustfeindlich?

ENRICO IPPOLITO

Dienstagabend. Kreuzberg. L. und ich im Südblock – also alles wie immer, eigentlich. Aber an diesem Dienstag ist alles anders. Die letzte Folge von „RuPaul’s Drag Race“ wird ausgestrahlt. Ich habe dieses Reality-Format nie wirklich richtig geschaut. Irgendwas stört mich daran. Wahrscheinlich das Ausschlachten von Marginalisierten gegeneinander. Oder ist es die Überhöhung des Hyperfemininen die mich nervt? Egal.

Anstrengender als die Sendung sind allerdings die Typen, die mit ihrem normierten schwulen Look den Raum dominieren. Tanktops, Flip-Flops und große Sonnenbrille sind die ultimativen Codes. Alles Dinge, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann. Hinzugekommen ist natürlich der Bart. Schön gepflegt. Man will ja schließlich nicht wie so ein Terrorist aussehen.

Mit der Figur des Terroristen und mit dem Thema Homonationalismus hat sich auch die Queer-Theoretikerin Jaspir Puar beschäftigt – und dafür vor ein paar Jahren heftig auf die Fresse bekommen. Daher spricht sie auch nicht mehr über das Thema, sondern lieber, wie jüngst im Institute for Cultural Inquiry (ICI) in Mitte, über Trans-Rechte und „Disability Studies“.

Gut, das hat natürlich keinen aufgeregt, weil nicht, wie damals, auch der Staat Israel in der Kritik stand. Puar wollte mit ihrem Konzept des Homonationalismus darauf aufmerksam machen, wie in „westlichen Gesellschaften“ Homo-Rechte instrumentalisiert werden, um gute, homofreundliche Länder vom bösen, vermeintlich homophoben Islam zu trennen.

Vielleicht sollte kurz vor dem Christopher Street Day am 21. Juni, der vor einigen Wochen den glücklosen Versuch unternahm, politischer zu werden und Stonewall Parade heißen zu wollen, mal darüber nachgedacht werden. Doch wie erwartet, bleibt beim Vortrag im ICI die Konfrontation aus.

Zu einem Mini-Eklat kam es stattdessen bei der Lesung von Chimamanda Ngozi Adichie. Die 36-jährige Schriftstellerin aus Nigeria ist der neue Superstar der Intellektuellen. Sie las vor einem ausverkauften Weddinger Kulturpalast. In ihrem neuen Roman „Americanah“ schreibt Adichie über Race, Gender und soziale Klasse. Die Moderatorin, die mit Adichie zwischendurch Kurzinterviews führte, übersetzte Race mit „Rasse“ – was prompt für Zwischenrufe sorgte.

Die Moderatorin reagierte fix, hatte zwar offenbar nicht verstanden, warum das Wort problematisch ist, benutzte es aber fortan nur noch in Anführungszeichen: Sie malte mit ihren Fingern selbige in die Luft. Bei „Rasse“, auch bei „Sozialer Klasse“ tat sie das – nur eben bei Gender nicht. So ist das eben mit den Zwischenrufen, die im jeweiligen Moment nichts erklären. Denn Race ist nicht Rasse. Das eine ist eine soziale Kategorie in den USA, das andere biologistischer, nationalistischerDreck.

Am Ende war auch Adichie verwirrt und stellte die Frage, die wir uns alle stellen sollten: Wie sollen wir über Race reden, wenn wir kein adäquates Wort dafür haben?

Zurück im Südblock. Nach vier Bieren war auch ich ein wenig verwirrt. Bin ich lustfeindlich? Bin ich jetzt auch in diesem linken Dogmatismus angekommen? Dann hingen L. und ich aber plötzlich an jeweils einer Brust einer fabelhaften Dragqueen, tanzten – und ich hatte eine Antwort: Nein, noch lange nicht.