Fetter Vogel auf der Tafel

Die Gans gehört für viele genauso zum Fest wie der Christbaum. Liebhaber hat der Vogel vor allem bei Leuten unter 30 – auch wenn die Zubereitung nicht einfach ist. Andere schätzen leichtere Kost

VON CHRISTOPH RASCH

Verfüllt und zugenäht liegt das nackte Geflügel in der Metallwanne. Mit kritischem Blick beugen sich Sonja und David über die pralle polnische Junggans. Fünfeinhalb Kilo Festessen. Für das Pärchen ist der krosse Gänsebraten die Generalprobe fürs familiäre Weihnachtsfest – und noch immer eine Wissenschaft für sich.

„Jetzt kenne ich diesen Vogel in- und auswendig“, sagt Sonja, „da baut man doch ein inniges Verhältnis auf.“ Dass sich der größte Teil der etwa einstündigen Zubereitung eher im Innern des hohlen Tieres abspielt, war neu für die Politikwissenschaftlerin – stets ist eine Hand im Vogel. „Sicher nicht jedermanns Sache“, sagt Sonja säuerlich lächelnd: den Beutel mit Innereien raus, Wasser rein, dann Gewürze, schließlich die Füllmasse aus Dörrobst und Maronen.

„Und als die Gans gebraten ist, so lege sie in ein schoen vaz und gib sie hin“, empfiehlt „Daz buch von guter spîse“. Das wusste schon vor 600 Jahren: „Dies ist ein gutes Essen.“ Und ein sprichwörtliches dazu, allen anderen Trends zum Trotz selbst bei der jungen Generation. Bis heute, anno Domini 2006, ist die „Weihnachtsgans“ an einem der drei Feiertage für Millionen Deutsche noch immer fettiges Flaggschiff auf der weihnachtlichen Festtafel – und zugleich kalorienträchtiger Höhepunkt des kulinarischen Adventskalenders.

Das Fachblatt Feinschmecker sieht die Gans obenauf in der Gunst der christlichen Gourmets. Doch der Klassiker hat ganz deftige Konkurrenten – selbst wenn Heiligabend für viele ein „Fastentag“ ist. Literaturkardinal Hellmuth Karasek etwa feiert ganz „nach katholischer Tradition“ – bei ihm kommt Fisch auf den Teller. Und Fernsehkoch Tim Mälzer wurde in seiner Jugend mit Würstchen und Kartoffelsalat sozialisiert – der protestantisch-proletarischen Variante des Heiligabendessens.

Das isst laut Emnid heute noch jede fünfte Familie zum Fest, gefolgt vom Fastenfisch, dem Eventfood „Fondue“ – und, etwas abgeschlagen, schließlich unserer Gans, die immerhin noch in 7 Prozent der Haushalte auf den Tisch kommt. Und vor allem von Menschen unter 30 goutiert wird.

Knapp ein Viertel der Deutschen hat sich laut einer Emnid-Umfrage inzwischen von den aufwändigen Weihnachtsgerichten verabschiedet – was vor allem Ernährungswissenschaftler freuen dürfte, die seit Jahren zu fett- und zuckerarmer Feiertagskost aufrufen. Die Gans sollte ihrer Meinung nach ersetzt werden: durch „Chinesisches Fondue“ etwa, bei dem das Fleisch bekömmlich in heißer Brühe gegart wird, mit einer im Ofen gegarten Gemüseforelle – oder mit Karpfen auf Grünkernrisotto. Ohnehin von Vorteil beim Weihnachtskarpfen sind „der geringe Anteil an gesättigten und der hohe Anteil an gesunden Omega-3-Fettsäuren“, wie die Mediziner der Deutschen Herzstiftung loben.